SPD-Energieexperte über AKWs: "Eon kann nur ein Regierungswechsel stoppen"
Der SPD-Energieexperte Hermann Scheer möchte beweisen, dass man in Hessen alle AKWs abschalten kann - ohne neue Kohlekraftwerke.
taz: Herr Scheer, knapp 4.000 Demonstranten in Jänschwalde und bei Hanau: ein Erfolg?
HERMANN SCHEER, 64, Träger des Alternativen Nobelpreises, war in Andrea Ypsilantis Schattenkabinett Minister für Wirtschaft und Umwelt.
Hermann Scheer: Wenn man sich das schlechte Wetter betrachtet: Ja!
Die Veranstalter hatten mit dem Hinweis mobilisiert, dass dies die wichtigste Demo des Klimaprotestes wird. Wenn Hessens Durchschnittsfußballer von Eintracht Frankfurt antreten, kommen zehnmal mehr Menschen!
Der Vergleich hinkt! Fußballunterhaltung ist etwas anderes als politisches Engagement.
Dann vergleichen wir mit Wolfsburg: Dort gingen einen Tag vor der Klima-Demo 40.000 Menschen auf die Straße, zehnmal mehr.
Auch dieser Vergleich hinkt: Die Demonstranten in Wolfsburg sind ganz unmittelbar betroffen, es geht um ihre Arbeitsplätze.
Dann ist der Klimawandel also keine unmittelbare Bedrohung?
Sehr wohl wird das so empfunden, aber deshalb nehmen nicht alle an der Demo teil.
Eon will am Staudinger ein 1.100-Megawatt-Kohlekraftwerk bauen. Was kann Eon jetzt noch stoppen?
Ein Regierungswechsel. Die geschäftsführende Regierung von Roland Koch will das Kraftwerk um jeden Preis - gegen die Mehrheit im Parlament und gegen die Mehrheit der Bevölkerung. Die Demozahlen sind das eine. In Umfragen haben sich die Hessen zu 80 Prozent gegen Kohlekraft und für erneuerbare Energien ausgesprochen. Wenn Koch gehen muss, sind Eons Pläne obsolet.
Wann muss Koch gehen?
Die SPD hat in Hessen am 4. Oktober Parteitag, danach werden wir die Koalitionsverhandlungen beginnen. Alle drei Partner - Linke, Grüne, SPD - sind sich beim Thema einig. Ich sehe nicht, wo es in dieser Frage noch Probleme geben könnte. Zu Weihnachten ist Koch hoffentlich Geschichte.
Und Hermann Scheer dann Wirtschafts- und Umweltminister, der Eon vom Acker jagt?
Was Hermann Scheer machen wird, werden die Koalitionsverhandlungen ergeben. Fakt ist: Ich habe detailliert vorgerechnet, wie binnen fünf Jahren die Atomreaktoren in Hessen abgeschaltet werden können und gleichzeitig keine neuen Kohlekraftwerke nötig sind. Der Bedarf kann erneuerbar gedeckt werden. Natürlich würde ich gern den Beweis antreten, dass dies funktioniert.
Nehmen wir die 1.100 geplanten Megawatt am Staudinger: Wie sollten die ersetzt werden?
Eon muss eine wärmegeführte Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlage bauen. Dass würde den Wirkungsgrad des geplanten Kraftwerkes um 100 Prozent erhöhen. Weil aber nur Bedarf für 300 Megawatt Wärmeleistung in der Region ausgekoppelt werden kann, darf auch nur ein 300-Megawatt-Kraftwerk gebaut werden.
Bleiben 800 Megawatt Differenz.
Ja. 400 Megawatt davon produziert Eon, um sie an die Stadtwerke Hannover zu verkaufen. Das Rhein-Main-Gebiet ist die dichtbesiedeltste und zugleich belastetste Region Deutschlands. Nirgendwo sonst gibt es eine solche Konzentration an Industrieanlagen und Verkehrsströmen auf so kleinem Gebiet. Und dann kommt auch noch der Flughafen dazu. Wenn Hannover 400 Megawatt braucht, soll es sie selbst durch Kraft-Wärme-Kopplung herstellen.
Macht immer noch 400 Megawatt Lücke.
Hören Sie auf mit "Lücke"! Es gibt keine Stromlücke. Selbst wenn wir unterstellen, dass der Strombedarf kräftig steigt - was er wegen des Klimaschutzes nicht darf, wir brauchen mehr Effizienz! -, es gibt heutzutage intelligentere Methoden, Energie herzustellen, als mit Technologien aus dem letzten Jahrhundert! Alle diese sind dezentral.
Herr Scheer, wenn dies die wichtigste Demo zum Thema Klimaschutz des Jahres war, wieso waren Sie dann nicht dabei?
Ich habe schon mehrfach auf Demos gegen den Staudinger gesprochen. Diesmal ging es terminlich nicht, ich war im bayerischen Wahlkampf unterwegs. Das ist Wesen der Energieversorgung: Man kann Energie nur einmal verbrauchen. Auch die persönliche.
INTERVIEW: NICK REIMER
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Zweite Woche der UN-Klimakonferenz
Habeck wirbt für den weltweiten Ausbau des Emissionshandels
Krieg in der Ukraine
Biden erlaubt Raketenangriffe mit größerer Reichweite
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“