■ SPD, CDU und ihre Präsidentschaftsmatadore: Kulturkampf
Herzlichen Glückwunsch an die Parteizentralen! Es ist nun fast geschafft, daß sich die Gesellschaft erneut um eine Frage polarisiert, die so fundamentalistisch ausgefochten wird, als sei ein neuer Kulturkampf ausgebrochen. Gestern nun haben CDU und SPD ihre Matadore in Stellung gebracht: Steffen Heitmann und Johannes Rau, an denen sich wieder einmal das Schicksal der Republik symbolisch, will sagen: mit dem lautesten Pathos und dem größten zu erwartenden Scherbenhaufen klären soll. Man wird einiges tun müssen, daß sich die Gesellschaft, in Wahlkampfzeiten immer leicht entflammbar, nicht kirre machen läßt von diesem Klamauk, bei dem es um nichts anderes geht als um parteitaktischen Extraprofit.
Interessant, wieviel Gewicht dieser kleinen Eröffnungsfrage am Beginn eines gigantischen Wahlmarathons inzwischen beigemessen wird. Diejenigen, die meinten, es sei so wichtig nun auch wieder nicht, wer da unser aller Frühstücksdirektor in der Villa Hammerschmidt sei, haben sich wohl doch getäuscht. Aber komisch wirkt es auch, wenn man dann ins andere Extrem verfällt und für Johannes Rau gleich die ganze liberale und fortschrittliche Republik als Geisel nimmt – so als drohe mit Steffen Heitmann endgültig der Zusammenbruch der modernen Zivilität. Mit Verlaub, es gibt ehrenhafte – übrigens westliche – Gründe, nicht für Johannes Rau zu sein und auch dazu zu stehen. Vor allem aber gibt es gute Gründe, an der Intelligenz der Strategie der SPD zu zweifeln, mit der sie Rau ins Rennen schickt. Wer Augen und Sinne offen hat, merkt natürlich, daß das konservative Personenangebot seit einiger Zeit Stück um Stück zum Gesamtkunstwerk wird: Kanther, Heitmann, Stoiber, das alles sind Namen, die sich um die von Helmut Kohl in seiner Parteitagsrede neu blankpolierten Begriffe law and order gruppieren. In instabilen Zeiten ist überhaupt keine andere Strategie von Konservativen zu erwarten. So what? Daß aber die Kandidatur Steffen Heitmanns die Ankündigung wahrmacht, wenigstens eines der Spitzenämter in Bonn aus dem Osten zu besetzen, das war die Herausforderung, auf die reagiert werden mußte – jedenfalls wenn man keine eigene Mehrheit auf der Bundesversammlung hat, um dem restaurativen Personenkonzept erfolgreich etwas entgegenzustellen.
Es war der SPD wohl zuzumuten, diesen Ball aufzunehmen. Um zu erkennen, daß Heitmann es nicht gut versteht, den Osten dem Westen näherzubringen, dazu brauchte man ihn nicht zu dämonisieren. Man konnte nach jemandem suchen, der genau das besser versteht, sei es nun das SPD-Mitglied Richard Schröder, sei es der Bürgerrechtler Jens Reich. Um diese schöne, klare Alternative hätte es sich gelohnt zu streiten. Statt dessen geht nun alles seinen parteipolitischen Gang. Und die Öffentlichkeit? Wenn es um den Schnee von gestern geht, sollte man tunlichst nicht zu heiß denken. Antje Vollmer
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