: SPD-Bedingungen an Staatsvertrag
■ Falls kein einheitliches Wahlrecht mit einer Fünfprozentklausel in ganz Deutschland beschlossen wird, wollen Ost- und West-SPD den geplanten zweiten Staatsvertrag zu Fall bringen
Bonn (afp) - Die DDR soll nach Ansicht der bundesdeutschen und der DDR-Sozialdemokraten noch vor gesamtdeutschen Wahlen ihren Beitritt zur Bundesrepublik erklären und nicht erst am Wahlabend. Auch in der heutigen DDR müsse bei Wahlen die Fünfprozentklausel gelten, verlangten der Vorsitzende der DDR-SPD, Wolfgang Thierse, und die stellvertretende Vorsitzende der bundesdeutschen SPD, Herta Däubler-Gmelin, am Mittwoch. Die Bundesregierung erwägt, bei der ersten gemeinsamen Wahl in der DDR eine niedrigere Sperrklausel gelten zu lassen.
Falls sich die SPD mit ihrer Forderung nach einem einheitlichen Wahlrecht nicht durchsetzen könne, würden die Sozialdemokraten den abgestrebten zweiten Staatsvertrag zum Scheitern bringen, sagte Frau Däubler-Gmelin. Dagegen erinnerte DDR-Ministerpräsident Lothar de Maiziere in einem Gespräch mit der 'Zeit‘ daran, daß es auch bei den ersten bundesdeutschen Wahlen keine Sperrklausel gegeben habe, „um einer entstandenen Meinungsvielfalt nach einer diktatorischen Zeit“ Rechnung zu tragen. Bei unterschiedlichen Sperrklauseln werde ein „Zweiklassenwahlrecht“ geschaffen sowie Manipulationen „Tür und Tor geöffnet“, begründeten Thierse und Däubler-Gmelin ihre Forderung. DDR-Regierungschef de Maiziere sagte in dem 'Zeit'-Interview, die Diskussion um die Sperrklausel werde von einer Partei gesucht, „die auch die redliche Chance hat, über diese Fünfprozenthürde zu kommen“. Er vermute, daß vor allem parteitaktische Gründe eine Rolle spielten.
Thierse forderte, im zweiten Staatsvertrag müßte „soviel wie nur irgend möglich“ geregelt werden. Die heutige DDR habe jetzt noch weit größere Chancen, eigene Überlegungen einzubringen als nach der Vereinigung. Dagegen hatte sich Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) am Montag dafür ausgesprochen, möglichst wenig vorab zu regeln. Nach Vorstellung der Sozialdemokraten sollen in dem zweiten Staatsvertrag festgeschrieben werden, daß in der neuen gesamtdeutschen Verfassung das Recht auf Wohnung und Arbeitsplatz sowie der Umweltschutz als Staatsziele verankert werden. Auch die Mitbestimmung müsse verfassungsrechtlich garantiert werden. In bestimmten Bereichen sollten Übergangsregelungen getroffen werden. Ausdrücklich nannte Thierse die unterschiedlichen Abtreibungsgesetze. Dies sei einer der Punkte, in denen es auch zu einer „Rechtsangleichung von Ost nach West“ kommen könnte.
Sowohl Däubler-Gmelin als auch Thierse bekräftigten die SPD -Forderung nach einem Volksentscheid über die neue Verfassung. Damit werde das Volk beim Vereinigungsprozeß auch „konstitutiv“ beteiligt.
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