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SPANNUNGSFELD NORD-SÜDEin Botschafter des modernen Brasilien

Francisco Rezek, porträtiert  ■ VON THOMAS FATHEUER

Nachdem Franzisco Rezek im März dieses Jahres von Präsident Collor zum Außenminister berufen wurde, verschwand er kurioserweise fast gänzlich von der Bildfläche. Dabei hatte er gerade in den Wochen und Monaten zuvor eine große Publizität erlangt. Rezek war als Präsident des Obersten Wahlgerichts der Aufseher der ersten freien und direkten Präsidentschaftswahlen in Brasilien nach 29 Jahren. Insbesondere eine Entscheidung machte ihn berühmt: In letzter Sekunde wollte der populäre Fernsehunterhalter Silvio Santos in das Bewerberrennen einsteigen – mit durchaus guten Chancen. Das Oberste Wahlgericht mit Rezek an der Spitze untersagte aber mit einer juristisch einwandfreien Begründung seine Kandidatur und ermöglichte so den Triumph Collors. Aber das Wahlgericht bestrafte auch Collor, als dieser seinem Gegenspieler im zweiten Wahlgang, dem Sozialisten Lula, einen Tiefschlag versetzte: Collor hatte eine Exfreundin des Konkurrenten aufgetrieben, die aussagte, Lula habe sie vor Jahren zur Abtreibung des gemeinsamen Kindes überreden wollen. Rezek räumte Lula sofort Sendezeit für eine Gegendarstellung ein. Immerhin – in weiten Kreisen der Bevölkerung konnte Rezek das Bild eines unparteiischen, korrekten Juristen aufbauen. Damit war er der richtige Mann für den rechten Collor, der sich um ein Saubermannimage bemüht.

Mit 46 Jahren ist Rezek ein junger Außenminister, und er hat einen kometenhaften Aufstieg hinter sich. Er ist kein Diplomat, sondern ein Karrierejurist. Mit 39 Jahren war er der jüngste Richter des Obersten Gerichtshofes. Politisch galt er als unbeschriebenes Blatt, er gehört keiner Partei an, nicht einmal seine Wahloptionen sind bekannt. Er war aber auch in keinen größeren Skandal verwickelt, was für Personen des öffentlichen Lebens in Brasilien schon als Leistung gelten kann.

Seit seinem Amtsantritt hatte Rezek wenig Gelegenheiten, sich in der Öffentlichkeit zu profilieren. Für spektakuläre Auftritte auf internationalem Parkett eignet sich der von Collor zum Umweltminister berufene „Ökofighter“ Lutzenberger viel besser, zumal sich das Interesse der Weltöffentlichkeit vor allem auf die Amazonaspolitik richtet. Bei den Schuldenverhandlungen spielt Rezek keine Rolle, und die Irak-Verwicklungen beschäftigten eher den Botschafter in London, der die schnelle Freilassung der Geiseln aushandelte. Die Verhandlungen über einen gemeinsamen Markt nach EG-Vorbild mit Argentinien und Uruguay führte Collor selbst. Und überhaupt interessiert sich das krisen- und inflationsgebeutelte Land viel mehr für die Politik und die Liebesaffären der jungen Wirtschaftsministerin Zelia Cardoso. Rezeks Aufgabe ist eher langfristig angelegt. Er soll das angeschlagene Image Brasiliens aufbessern, geduldige Überzeugungsarbeit bei Regierungen und Investoren leisten. Als strategische Leitlinie für Brasiliens Außenpolitik hatte Collor ausgegeben: Schluß mit der „Dritte-Welt-Tümelei“ (terceiro-mundismo), Brasilien solle lieber das letzte unter den ersten Ländern werden als das erste unter den letzten bleiben. Der welt- und wortgewandte Rezek, der in Paris studiert hat und fünf Sprachen beherrscht, ist der beflissene und geschliffene Botschafter des modernen Brasilien, das darunter leidet, daß sich die internationale Öffentlichkeit immer nur für Indios, Kautschukzapfer oder Goldgräber interessiert.

Nicht untypisch ist so die bislang vielleicht spektakulärste öffentliche Aktion des Außenministers. amnesty international hatte in England Anzeigen mit dem Text veröffentlicht: „Brasilien löst sein Problem mit den Straßenkindern: Es tötet sie.“ Diese Anzeige greift die unbestreitbare Existenz von Todesschwadronen auf, suggeriert aber zumindest auch, daß es sich hierbei um eine offizielle Politik handele. Rezek protestierte energisch und erfolgreich: Ian Martin, Generalsekretär von amnesty, entschuldigte sich für die Anzeige.

Thomas Fatheuer ist Mitarbeiter des Forschungs- und Dokumentationszentrums Chile-Lateinamerika (FDCL) in Berlin.

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