SOZIALHYGIENE IN NEUKÖLLN : Macker geduldet
Schon wieder ist es passiert. Mit J. war ich in einer Neuköllner Bar. Als ich vom Klo zurückkam, hatte sich vor ihr ein kleiner Mann ganz groß aufgebaut, schimpfte herum, war außer sich. „Was ist denn hier los?“, fragte ich. Der Mann scannte mich von oben bis unten, sagte: „Da ist sie ja!“ – im Kopf ergänzte ich das Schimpfwort, das er dachte und durch Körpersprache klarmachte –, nahm sich einen Stuhl und stellte den direkt neben meinen. Dann setzte er sich drauf. Unsere Ansage, mit ihm unter keinen Umständen den Tisch teilen zu wollen, spornte ihn erst recht an. „Neukölln ist groß genug!“, knurrte er, während er beinahe auf meinem Schoß saß.
Angeekelt räumten wir den Platz. Der Barkeeper war zwar empört, durchgreifen wollte er aber nicht. Aus schlechtem Gewissen gab er uns Drinks aus: Sexismus zahlt sich also nicht aus. Zumindest nicht monetär. Zumindest nicht für ihn. J. und ich sinnieren derweil über jenen Typ des alten Manns, der bei uns Ärger sucht. Wo wir zusammen sitzen, taucht er auf. Zwei Wochen zuvor war ein gemeinsamer Kneipenabend abrupt geendet, als so ein Horst mit Fliege uns zu beschimpfen begann. Dass wir uns seinem Befehl, zu gehen, widersetzten und für sein Rempeln nur ein kühles Lächeln übrig hatten, machte ihn zum Stier. Der dortige Barkeeper sagte bloß: „Das kann er doch nicht machen!“
J. und ich sind in unserer Jugend durch die harte Schule eines Jugendzentrums gegangen. Wir waren es gewohnt, als einzige Mädchen gegen Macker-Punks und Polit-Machos zu stehen. Als wir nach Berlin zogen, kehrten wir Männer aus den Bars, die uns dumm kamen. Nun sind wir erwachsen geworden – und vom Barpersonal ist immer noch nichts zu erwarten. Das ist ein Problem, denn: wer schmeißt nun die Arschlöcher raus, wenn wir es nicht mehr machen? Wahrscheinlich ist es Zeit für einen zweiten Frühling. SONJA VOGEL