SOZIALE UND RÄUMLICHE ORIENTIERUNG IN WASHINGTON DC : Eine Frage des Geschmacks
AUS WASHINGTON
Du bist, wo du isst. Das war zumindest die unmissverständliche Botschaft des Verkäufers im Apple Store. „Kennst Du das Blacksalt?“ Ich zögere, seine Miene verzieht sich. „Das Fischrestaurant?“ „Ja, genau.“ Puh, noch einmal geschafft.
Bei einem der ersten Aufenthalte, erklärte mir meine Begleitung, dass es hier so unzählige Restaurants gibt, weil viele Leute in dieser Stadt zwar viel Geld aber zu wenig Urlaub haben. Mit dem abendlichen Ausgehen werde ein Mangel kompensiert – wenngleich nur durch eine Art Illusion.
Aber hinter der Restaurant-Frage steckt noch mehr. Wer sie stellt, hat Vorsprung gewonnen und ihm kann in der Unterhaltung erst einmal kaum etwas aus den Händen gleiten. Auch weil er, geradezu unverschämt, den sozialen Status seines Gegenübers prüft.
Auch ein anderes Mal, auf dem Weg ins Büro, dauerte es genau zwei Fragen, bis es zur Sache ging. Die erste: „Wo wohnst Du eigentlich?“ Die zweite: „Welches Restaurant ist denn da in der Nähe?“ Und auch bei dieser Antwort muss irgendwas schief gelaufen sein. „Eigentlich ist da gar kein Restaurant“, sagte ich, „zumindest ist mir bisher keines aufgefallen.“ Das Gespräch brach ab, mit meiner Gegenfrage blieb ich stehen. Richtet man seine Orientierung in dieser Stadt wirklich an Restaurants aus?
Im urbanen Sprech hat das Wort „Foodie“ Einzug erhalten. Laut Urban Dictionary ist das mit einem ironischen Augenzwinkern eine Person, die weder Interessen noch Hobbys hat. Vielleicht braucht man die ja nicht. Über das Essen lässt sich eben auch so schnell ein Konsens erzielen – genau darum geht’s, erklärt zumindest ein Bekannter. Letztlich entscheide der Geldbeutel, in welcher Liga man spielt.
Bei den besseren Adressen kann man sich die Entscheidung anderer einfach vorsetzen lassen. Vielleicht ist das konsequent. Weil einen jede eigenständige Wahl eh nur vor Probleme stellt. Man läuft schließlich Gefahr, daneben zu liegen. Im erwähnten Fischrestaurant kostet es übrigens 100 Euro, keinen Fehler zu machen – fünf Gänge, gepaart mit dem passenden Wein. Für die, die noch rechnen müssen, liefert das Stadtmagazin die angesagtesten Tipps, um mitreden zu können.
„Foodies“ sind Wikipedias Minimaldefinition zufolge übrigens leidenschaftliche Esser, die eben nicht ihren Lebensunterhalt mit einer gastronomienahen Tätigkeit bestreiten. „Der Luxus macht eben überhaupt nur Sinn im Verhältnis zum Notwendigen“, schrieb Bourdieu einmal. Und die Lässigkeit in der ganzen Restaurant-Unterhaltung lebt letztlich auf Kosten derjenigen, die diese Wahl schlicht nicht haben.