SLAPP-Klagen gegen freie Berichterstattung : Einschüchterung und Klassenjustiz
Auch die taz wird immer wieder Opfer von Einschüchterungsversuchen in Form rechtsmissbräuchlicher Klagen. Am 19. März 2024 hat der Rat der Europäischen Union die Anti-SLAPP-Richtlinie verabschiedet. Gut so, sagt unser Rechtsanwalt Johannes Eisenberg.
Aus der taz | Die taz wurde und wird immer wieder Opfer von „Klagen“, denen deutsche Untergerichte unter Verletzung des Rechts auf Meinungsäußerung und Pressefreiheitsgrundrechte stattgeben. SLAPP ist ein Buchstabenkürzel aus dem Englischen und steht für Strategic Law Suits Against Public Participation. Ein Akronym für eine rechtsmissbräuchliche Form der Klage, so steht es auf Wikipedia, die den Zweck hat, Kritiker einzuschüchtern und ihre öffentlich vorgebrachte Kritik zu unterbinden. Also: Juristische Macht mit Geld – auch gegen Medien wie die taz.
Beispielsweise: So erlässt das Landgericht (LG) Halle gegen einen Redakteur der taz wegen dessen Meinungsäußerung das einstweilige Verbot, die Zusammenarbeit zwischen einem rechtsaggressiven Bauernverband und der AfD als solche zu bezeichnen. Als sich der taz-Autor zur Wehr setzt und verlangt, dass der Bauernverband eine Klage erhebt, weigert sich das LG Halle in grotesker Leugnung der Prozesslage zunächst, den Bauernverband zur Klageerhebung aufzurufen.
Als der Autor gegen diese rechtsleugnende Haltung des Gerichts die Aufforderung zur Klageerhebung mit Rechtsmittel dann durchsetzt, erhebt der Bauernverband schließlich die Klage, zahlt aber den Gerichtskostenvorschuss nicht ein.
Als die taz daraufhin die Aufhebung der Verbotsverfügung verlangt, hebt das Gericht zwei Tage vor dem angesetzten Verhandlungstermin diesen auf und verweist die Parteien auf ein schriftliches Verfahren. Die Einstweilige Verfügung besteht einstweilen fort. Ich nenne das offene Parteinahme des Gerichts für den rechtsaggressiven Verband.
Sexualisierte Gewalt?
Ein weiteres Beispiel: In Hamburg erlässt das Landgericht gerne Einstweilige Verbotsverfügungen mit dem Argument, ein Betroffener sei nicht ausreichend von der taz vor der Veröffentlichung angehört worden. Zugunsten eines Berliner Rabbiners, dem multiple sexuelle Übergriffe nachgesagt werden und der gegen einen langen Artikel in der taz klagte (dem ähnliche in anderen Medien vorangegangen sind, die Landgerichte in Berlin und Köln haben alle dagegen gerichteten Anträge des Rabbiners zurückgewiesen), erlässt das Gericht ein umfangreiches Verbot, weil der Mann angeblich nicht hinreichend angehört wurde.
Dabei war er durchaus angehört worden und hatte durch sein Verhalten und durch Gegenfragen deutlich gemacht, dass er nicht bereit war, Fragen zu beantworten.
Ein ehemaliger CDU-Bundestagsabgeordneter, der aus anderen Gründen bereits im Licht der Öffentlichkeit steht, gerät unter den Verdacht einer Vergewaltigung einer Mitarbeiterin des Auswärtigen Amtes in seiner Funktion als Auslandsreisenbetreuer. Die zuständige Staatsanwaltschaft unterrichtet die Öffentlichkeit.
Die taz berichtet unvoreingenommen und ausgewogen zum Vorgang. Es wird ihr verboten, wieder vom LG Hamburg.
Stolze Streitwerte
Dem äußerungsrechtlichen Fass den Boden schlagen zwei Verbotsverfügungen aus, die ebenfalls das LG Hamburg erlassen hat: eine gegen einen anerkannten Afghanistan-Fachmann, eine gegen die taz. Beide mit stolzen Streitwerten im sechsstelligen Eurobereich mit Prozessrisiken von vielen zehntausend Euro.
Antragsteller sind aus Afghanistan stammende Multimillionäre, deren Reichtum aus mehr oder weniger legalen Geschäften unter anderem mit westlichen Besatzungsarmeen stammen. Gegen diese Leute wird in den USA wegen Korruption und anderer Delikte ermittelt. Die zuständige Behörde hat eine Sanktion mit Begründung veröffentlicht. Die Sanktionsbetroffenen machen in Deutschland umfangreiche Immobiliengeschäfte mit dem vermutlich in Afghanistan erbeuteten und rechtzeitig außer Landes gebrachten Vermögen.
Gegen die taz und deren Autor mobilisieren sie eine Anwaltskanzlei, die gerne auch Neonazis und die AfD vertritt, und beantragt vor dem LG Hamburg die Verbotsverfügungen. Dieses LG nun zweifelt die Zitierbarkeit und Verlässlichkeit der US-amerikanischen amtlichen Veröffentlichung über die Verdachtslage grundsätzlich an und verlangt zudem, dass die taz die Betroffenen ausführlichst und unter konkretem Vorhalt der ihnen ohnehin bekannten US-amerikanischen Veröffentlichungen erneut anhört.
Konfrontationspflicht
Diese vier geschilderten Fälle geben der taz Gelegenheit, den Umfang der sogenannten „Konfrontationspflicht“ nunmehr abschließend und obergerichtlich zu klären.
Wenn eine Behörde (in diesem Falle die Staatsanwaltschaft oder das US-Finanzministerium) nach eigenen Untersuchungen einen Verdacht amtlich veröffentlicht: Muss dann die taz dem Betroffenen vor einer Veröffentlichung detailliert Gehör gewähren (in den USA hat das zuständige Bezirksgericht gerade einen Antrag der Multimillionäre auf vorläufige Sperrung der Veröffentlichung zurückgewiesen)?
Und muss sie sich vor einer Veröffentlichung hinhalten lassen, wenn der Betroffene allerlei Ausflüchte sucht und Gegenfragen stellt, die Fragen selbst aber nicht beantwortet?
Es handelt sich bei allen vier Verfahren um klassische SLAPP-Klagen. Wir werden sehen, ob die Initiative des EU-Gesetzgebers die deutschen Gerichte beeindruckt.
Für die vorgenannten Antragsteller spielen die Prozessrisiken und -kosten keine Rolle, sie verfügen über Vermögen oder sonstige Revenues. Die taz wird viele Zehn-, wenn nicht Hunderttausend Zeitungen verkaufen müssen, um die Streite jeweils zu finanzieren.
Hohe Kosten
Genau darauf kommt es den Anspruchstellern und ihren Anwälten an, die gerne in anwaltlichen Drohschreiben behaupten, dass jede Veröffentlichung zu dem Thema und den Mandanten unzulässig sei. Wir sehen, dass SLAPP-Klagen in Deutschland wirkungsmächtig sind.
Es herrscht in Deutschland, in Sonderheit vor bestimmten Untergerichten, äußerungsrechtlich eine klassische „Klassenjustiz“. Wer arm ist, hält sich gerne und sicherheitshalber fern von ihr. Das bedeutet aber auch, dass er zu schweigen hat.
Die taz macht da nicht mit. Sie wird die Sträuße ausfechten – und weiter berichten.
Johannes Eisenberg, Anwalt in Berlin, vertritt auch die taz seit vielen Jahren in presserechtlichen Fällen vor Gericht.