SEINE LETZTE ÄUSSERUNG BEWEIST: SCHÄUBLE WILL EINE ANDERE REPUBLIK : Militarisierte Innenpolitik
Die Katze ist aus dem Sack. Wer sich in den letzten Monaten fragte, warum der Innenminister eigentlich mit stets neuen, teilweise arg weit hergeholten Argumenten so vehement für einen möglichen Einsatz der Bundeswehr im Inneren stritt, weiß nun Bescheid. Die jüngsten Äußerungen von Wolfgang Schäuble zeigen: Nicht um Objektschutz oder um die Entlastung der Polizei geht es ihm und auch nicht um Streicheleinheiten für konservative Seelen. Sondern um eine dramatische Erweiterung staatlicher Befugnisse, die auf eine Militarisierung der Innenpolitik hinausläuft.
Die Republik wird nicht wiederzuerkennen sein, falls sich Schäuble und sein Kampfgenosse Franz Josef Jung mit ihrem Wunsch durchsetzen, dass der Verteidigungsfall bedarfsweise auch bei drohenden Terroranschlägen erklärt werden kann. Oder ist das Alarmismus? Übertriebene Sorge? Schließlich haben sich doch auch Weltsicherheitsrat und Nato-Rat diese neue Definition von „Krieg“ zu Eigen gemacht, ohne dass alle westlichen Demokratien spornstreichs zu waffenklirrenden Militärdiktaturen geworden wären.
Der Hinweis klingt ungemein beruhigend, löst das Thema aber aus dem Kontext der damaligen Umstände heraus. Seinerzeit haben das Entsetzen über die Attentate vom 11. September und auch die – berechtigte – Angst vor einer Überreaktion der USA alle Überlegungen der Staatengemeinschaft bestimmt. Das mag sich im Rückblick als Fehler erweisen, war aber zumindest verständlich.
Wer jedoch heute nur mit dem schlichten Verweis auf damals argumentiert, gefährdet den Rechtsstaat. Kriegsrecht setzt die Menschenwürde und das Recht auf Leben zwar nicht vollständig, aber doch teilweise außer Kraft. In Zeiten des Krieges dürfen staatliche Stellen – fast – alles tun, was ihnen geboten scheint.
Soll der Terror über uns wirklich so viel Macht gewinnen? Wo ist die Grenze? Kann nur der Islamismus einen Kriegszustand begründen – oder möchte Wolfgang Schäuble nachträglich Terroristinnen wie Ulrike Meinhof zustimmen, die in den 70er-Jahren die Ansicht vertrat, die RAF befinde sich im Kriegszustand mit der Bundesrepublik? Spätestens hier wird es absurd. Wenn Einzelne – einzelne Gewalttäter – über Krieg und Frieden entscheiden können, verlieren diese Begriffe jegliche Bedeutung.
Bislang wehren sich SPD-Sicherheitsexperten, kriminelle Taten wie terroristische Anschläge mit staatlichem Handeln wie einem Angriffskrieg gleichzusetzen. Hoffentlich bleiben sie dabei. Die Erfahrung stimmt misstrauisch. BETTINA GAUS