piwik no script img

■ SED-Diktatur15.187 Seiten

Mit einem schlichten Antrag im Bundestag fing alles an. Am 21. Februar 1992 empfahl die SPD-Fraktion die Einsetzung einer Enquete- kommission „Politische Aufarbeitung von Unterdrückung in der SBZ/DDR“. Bündnis 90/Die Grünen folgten, da hieß das Thema schon „Aufarbeitung der Geschichte und der Folgen der SED-Diktatur. Am 11. März dann reichten die Regierungsparteien ihren fast gleichlautenden Antrag ein. Auch die PDS wollte sich nicht drücken. Sie bat, ganz neutral, um die „Politische Aufarbeitung der DDR-Geschichte“.

Jetzt liegen die Ergebnisse der Enquetekommission vor, die dann doch die Bezeichnung „Diktatur“ für 40 Jahre SED-Herrschaft wählte. Ein voluminöses Werk, 31 Pfund schwer, 15.187 Seiten, aufgeteilt in neun Themenkomplexe, gegliedert in 18 Teilbände. Kartoniert und ohne Lesefädchen, dafür zum hochsubventionierten Sonderpreis.

Über zwei Jahre lang hatte die nach Parteienproporz zusammengesetzte Kommission unter der Leitung von Rainer Eppelmann (CDU) immer neu getagt, sich mit Parlamentariern, wissenschaftlichen Sachverständigen und Zeitzeugen zusammengesetzt, um die „noch qualmende Geschichte der DDR“ auszuleuchten. Der Begriff „Aufarbeitung“ bedeute, daß eine „eine wie auch immer geartete Vergangenheitsbewältigung“ nicht intendiert war.

Gerade deshalb: Das vorgelegte Gemeinschaftswerk sei jedem politisch Interessierten dringend empfohlen. Es ist eine schier unerschöpfliche Materialsammlung – wohlgemerkt keine abwägende wissenschaftliche Studie – über die Machtstrukturen im SED-Staat, der Deutschlandpolitik, der Rolle der Kirchen, des MfS, die Bürgerbewegung usw.

Die Liste der Referenten, die bei den öffentlichen Anhörungen Referate hielten, liest sich wie ein Who is Who der Zeitgeschichte. Die Wortprotokolle der verschiedenen Debatten im Bundestag und insbesonders die Erörterung des Abschlußberichts am 17. Juni (!) 1994, einschließlich aller Zwischenrufe bieten Überraschendes. „Ich betrachte es als meine moralische Pflicht und Verantwortung, mich bei den Opfern der SED-Diktatur zu entschuldigen“, bilanzierte PDS-Enquetemitglied Dietmar Keller.

Hoch bedauerlich ist, daß die meisten Vorträge vor der Drucklegung nicht mit Anmerkungen versehen wurden. Ärgerlich ist, daß Kurzbiographien der zu den einzelnen Themenkomplexen aufgerufenen Zeitzeugen fehlen. Schwer zu handhaben ist das viel zu grob unterteilte Sachregister. aku

Enquetekommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“. Hrsg. v. Deutschen Bundestag, Nomos/Suhrkamp Verlag, Baden-Baden, Frankfurt/M., 1995, 198 DM

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen