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Archiv-Artikel

SCHON JETZT IST KLAR: ISRAEL WIRD KEINES SEINER KRIEGSZIELE ERREICHEN Sechs Pleiten und ein Irrtum

Nach 27 Tagen ist der Zeitpunkt gekommen, eine vorläufige Bilanz des Libanonkriegs zu ziehen: Was waren die Ziele? Welches sind die Ergebnisse?

1. „Die Hisbollah zu zerstören“

Wer hätte gedacht, dass die Hisbollah nach vier Wochen noch immer stehen und kämpfen würde? Ein paar tausend Guerillakämpfer gegen die fünftstärkste Armee der Welt? Keiner spricht mehr davon, sie zu eliminieren: Weder Israels Premier Ehud Olmert noch Verteidigungsminister Amir Peretz oder Armeechef Dan Halutz.

2. „Die Hisbollah zu schwächen“

Das ist eine abgemilderte Version des ersten Kriegsziels. Sie ist besser geeignet, denn sie lässt sich nicht überprüfen. Keiner weiß, wie viele Kämpfer die Hisbollah schon verloren hat. Aber egal, wie hoch ihre Verluste sein mögen: Nach dem Krieg wird sie wieder viele neue Freiwillige für ihren „Heiligen Krieg“ gewinnen und ausbilden können. Ihr Arsenal wird sich mit neuen Waffen aus dem Iran und Syrien füllen. Die libanesische Grenze ist lang. Es ist unmöglich, sie völlig abzuriegeln.

3. „Die Hisbollah von der Grenze zu vertreiben“

Das ist die Schrumpfversion, nachdem sich die beiden erstgenannten Ziele als unerreichbar erwiesen haben. Aber auch dieses Ziel ist unerreichbar, denn die meisten Hisbollah-Kämpfer rekrutieren sich aus der lokalen Bevölkerung der südlibanesischen Städte und Dörfer. Sie werden auch weiterhin dort sein, ob offen oder getarnt, und keine internationale Kraft wird dies verhindern können, auch die libanesische Armee nicht. Ihre Raketen können weiter weg deponiert werden. Zehn, zwanzig Kilometer weiter entfernt? Das wird die Bedrohung für Naharija, Haifa oder Tel Aviv nicht beeinträchtigen – insbesondere da die Reichweite der Raketen immer größer wird, je weiter ihre technische Entwicklung reicht.

4. „Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah töten“

Im Augenblick scheint es, als seien die Berichte von seinem Tod übertrieben gewesen, um einmal Mark Twain zu zitieren. In der Zwischenzeit blüht der echte Nasrallah auf. Verglichen mit Olmerts kitschigen Reden, die von endlosen Klischees strotzen, präsentiert sich der Anführer der Hisbollah als sachlichen Redner, maßvoll und meist auch ziemlich glaubwürdig.

5. „Das Abschreckungspotenzial der israelischen Armee zu bekräftigen“

Keiner zweifelt daran, dass die israelische Armee eine gute, professionelle Armee ist, die fähig ist, reguläre Armeen zu besiegen. Aber dieser Krieg beweist, dass sie nicht in der Lage ist, gegen eine fähige Guerillaorganisation mit entschlossenen Kämpfern eine militärische Entscheidung zu erzwingen. Wenn die Hisbollah nach vier Wochen noch immer in der Lage ist, kräftig auszuteilen, dann hat das Abschreckungspotenzial der israelischen Armee doch sehr gelitten.

Unter diesem Aspekt hat der Krieg die Sicherheit Israels beeinträchtigt. Er hat gezeigt, dass die Kämpfer der Hisbollah den israelischen Soldaten keinesfalls unterlegen sind – dass es also kein Deluxe-Krieg ist, den Luftkräfte ohne die Landtruppen gewinnen können. Einige trösten sich mit dem Gedanken, dass „die Araber nun gesehen haben, dass wir verrückt spielen können“. Wir reagieren auf eine kleine lokale Provokation mit einer Art nationalem Amoklauf. Dies öffnet der anderen Seite Tür und Tor, uns durch gezielte Provokationen zu manipulieren.

6. „Eine internationale Truppe an der Grenze zum Libanon aufstellen lassen“

Dies ist eine Art Notlösung. Zu Beginn des Krieges war Olmert entschieden gegen solch eine Truppe, weil sie die Bewegungsfreiheit der israelischen Armee einschränken würde. Es ist klar, dass keine internationale Truppe kommen wird, solange vor Ort keine Waffenruhe herrscht und kein Abkommen mit der Hisbollah erzielt wurde. Niemand will sich einem Kreuzfeuer aussetzen. Deshalb müssen diese internationalen Kräfte auch den Interessen der Hisbollah dienen.

7. „Die Landkarte des Nahen Ostens verändern.“

Dieses Ziel ist tatsächlich erreicht worden – aber nicht in der Art, in der Ehud Olmert es sich und anderen weismachen will. Die weit reichenden Folgen dieses Kriegs können noch nicht unmittelbar abgeschätzt werden. Sie zählen zu jener Kategorie, die Bismarck als „Imponderabilien“ bezeichnete – als Dinge, die man weder wiegen noch messen kann. Zehn Millionen Araber und hundert Millionen von Muslimen sehen jeden Tag auf ihren TV-Bildschirmen die entsetzlichen Bilder von getöteten Babys und den Anblick schrecklicher Zerstörung. Das wird sich tief ins Bewusstsein der Massen einprägen und eine Menge Zorn und Hass schüren, der viel gefährlicher ist als ein Arsenal von Raketen. Und so, wie die Figur Hassan Nasrallahs in der arabischen Welt an Statur gewonnen hat, hat die Achtung vor den „moderaten“ arabischen Regimen abgenommen – also genau jenen Regimes, auf die die USA und Israel so angewiesen sind, um ihren neuen Nahen Osten aufzubauen.

URI AVNERY

Uri Avnery, 83, ist israelischer Friedensaktivist und Träger des Alternativen Nobelpreises