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SÄBEL MESSER GEWEHRE

■ Plakatkunst-Aktion des Kinderschutzzentrums

Guck mal. Da hüpft ein roter Luftballon über den Schnee. Aber da, von rechts und links schwarze Balken, nähern sich bedrohlich, einer stößt gleich zu - Blutfäden rinnen über weißen Grund. Luftballon? Das kann auch ein riesiges Hämatom sein. Eine Platzwunde. Oder eine kleine blutige Vagina, zerschrammt von einem viel zu großen Penis.

Das Ende einer Kindheit. Hat's da geschrien? Dann war das ein Schrei, der hängt für immer über einem Leben. Oder war's dabei still? (Die Art von Stille, die ein lebenslängliches Entsetzen vor jeder Berührung einleiten kann - den Tod jeder Lust.) Segelt ein rotes Schiffchen über die weiße Fläche, rechts und links das Leben, freie Fahrt. Wumm. Schwarze Zähne, Messer und Krallen. Babababam, schwarze Gewehre. Ein Druck auf den Knopf der Sprühdose, und es wird klar, welches Rot da über die Plakatwand rieselt. An über 120 Stellen in Berlin, in fast allen Bezirken, haben Johannes Emig, Mitarbeiter des „Kinderschutzzentrums“, und die argentinische Malerin Celia Caturelli Plakatwände zum Thema „Gewalt gegen Kinder“ bemalt.

Die Farbsymbolik geht durch alle Kulturen. Rot wie Lebendiges, Feuer, Lust. Rot wie Blut, Gewalt. Schwarz wie alles Fürchterliche, die dunkle Farbe der Angst. Von Johannes Emig stammen die scharfen, graphischen Bilder. Symbolische Variationen vom statischen Umgang der Gesellschaft mit (sexueller) Gewalt an Kindern: Statistiken (jährlich 60.000 erfaßte Fälle von Kindesmißhandlungen), Strafanzeigen (rund 30.000 polizeiliche Ermittlungen pro Jahr), Verbote (die Grünen haben neulich einen Gesetzentwurf zum Verbot von Kindesmißhandlungen eingebracht). Alle ereifern sich am Thema: unmenschlich und unerhört. (Es passiert jeden Tag.)

In irgendeinem Supermarkt: Hör‘ auf zu heulen! Lauf‘ schneller! Leg‘ das wieder hin, aber dalli! Kriegst gleich was hinter die Löffel, wenn du nicht aufhörst! Wart‘ bloß, bis wir zu Hause sind! Und wenn ich dich schlage, bis das Blut spritzt. Gibt es eine eigene Gattung „Kinder“? Während sie dir einprügeln, was du werden sollst, bist du das längst: ein Mensch. Was für ein Mensch?

Celia Caturelli holt den Zorn tief aus den eigenen Erfahrungen. Zack, der Pinsel malt es auf. Einsperren. Zumachen. Bis-hierher-und-nicht-weiter. Säbel, Messer, Gewehre. Kriegerische Chiffren, verteilt über die ganze Fläche. In Cordoba schlagen sie dich, wenn du ein Kind bist, genauso.

Vor Ort: Rätsel zum Nachfragen. Rot-Schwarz-Weiß. Abstrakt. Dazu sind Symbole da: Raum für die eigenen Bilder und Gedanken. In akademischen Worten formuliert eine Studie zur Kindesmißhandlung das Beratungskonzept des Kinderschutzzentrums Berlin: Es geht darum, „Gewaltbeziehungen als unverstandenen Text eigener Lebensgeschichte zu entschlüsseln“. Auch dem, der eben blind, ohnmächtig und sprachlos dreingeschlagen hat, verstehen helfen, was da geschehen ist. Ein angreifbares Konzept, Hilfen für Kinder und Eltern. Es steht bis Ende August auf über 120 Plakatwänden in Berlin.

Rosemarie Jung

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