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■ S T A N D B I L DKille, kille, Killeralgen

(Freitagnacht, Talkshow, Nordkette, 22 Uhr) – Freitag abend, Punkt zehn war's wieder mal fünf vor zwölf. Drei Stunden lang. Die Nordsee kippte und starb, und Peter Alexander ging's auch schon ganz schlecht, wenn er der lungenentzündeten Robbe ins schwarzbraune Knopfauge blickte. Tief betroffen außerdem: Sigi Harreis, Rudi Carrell, Udo Lindenberg, Ina Deter und so weiter und so fort, die in knappen, ergriffenen Worten kondolierten. Wesentlich länger mußten wir den Entführer der deutschen Großvieheinheiten, Freiherr von Heereman, ertragen, der nach messerscharfer Analyse zu der festen Überzeugung kam, daß in der Landwirtschaft „gewisse Grundwasserbelastungen vorkommen können“. Vielleicht kriegen die dümmsten Bauern tatsächlich die dicksten Kartoffeln. Die Ernstestrapazen waren Heereman jedenfalls deutlich anzusehen. Bei Heereman fragt sich natürlich jeder, wie so einer ohne Blindenhund überhaupt den Weg ins Fernsehstudio findet und wie lange er wohl am Kuh –Damm das Milchvieh gesucht hat.

Dünnsäure-Verklapper Kronos-Titan hatte in letzter Sekunde gekniffen und statt dessen Eberhard Weise vom Verband der chemischen Industrie ins Rennen geschickt. Er schwieg lange und zu Recht wie ein Buddha, bevor er Eintrags –Verdünnungssysteme und Schadstoff-Verquirlungstechniken ins erfrischend chaotische Talkshow-Rund warf. Sodann entdeckte er das weißeste Weiß seines Lebens, das uns allein die Weißmacher-Produktion von Kronos-Titan beschert, und beschwor die Horrorvision von grauen Unterhosen und gelbstichigen Brautschleiern. Entweder die Robbe oder die Unterhose – eine schwere Entscheidung (Ich bin auf jeden Fall gegen den Schleier und für die Robbe! d.sin). Herr Weise erhielt für seine Auslassungen allerdings eine schwere Strafe: Ina Deter setzte sich neben ihn.

Was gab's noch? Zwei tapfere, gut informierte Greenpeace –Frauen, die nach Kräften strampelten, einen Bürgermeister von Westerland, zwei Naturschützer, einen Krabbenfischer (“Sollen denn die Fische schreien?“), einen Töpfer-Knecht, einen Meeresschildkröten-Dazwischenrufer, einen Hamburger Umweltbeamten und – „Wir brauchen ihn nicht mehr vorzustellen“ (Lea Rosh) – Joschka Fischer, der König der Tafelrunde. Fischers Frage, ob denn die Robben vielleicht am Raucherhusten stürben, und sein Ruf auf die Barrikade waren denn auch das Eintrittsgeld wert. Ansonsten bleibt die Frage, ob der Seefriedhof Nordsee noch Talkshow-geeignet ist und wer die Diskussionen noch ertragen kann, wo längst Generalstreik angesagt wäre. Horst Tomayer hat diese Frage beantwortet: „Und kein wirklich sensibler Mensch, also jemand, der weiß, welche kapitalen gesellschaftlichen Kräfte entscheidend dieses Meer ruinieren, kann die heimische Diskussionsrunde im Fernsehen nervlich mehr ab.“

Bleibt anzumerken, daß Rudolf Ganz „aus persönlichen Gründen“ als Co-Moderator „Freitagnacht“ ausgestiegen ist und ein neues Pendant für die resulute Lea Rosh gesucht wird.

Manfredo

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