: „Ruth“ abgeholt in Rudolstadt
Die Berliner Band Nomad Sound System erhielt jetzt den deutschen Weltmusikpreis des Tanz- und Folkfests von Rudolstadt in Thüringen. Für die Älteren gab’s E-Gitarren satt
Eigentlich hat ihn der Hausmeister entdeckt. Der Tunesier Karim Sfaxi lebte in einem Neuköllner Hinterhaus und war ein bisschen unglücklich. Seit der Rai-Sänger zu seiner deutschen Frau nach Berlin gezogen war, fehlte ihm die Musik. Doch dann gab der Hausmeister einer Weltmusikagentur im Vorderhaus den Tipp, dass Karim Sfaxi im Hinterhaus – so kam eins zum anderen.
Inzwischen ist Sfaxi Sänger der Berliner Band Nomad Sound System, mit der er am Wochenende den deutschen Weltmusikpreis Ruth in der Kategorie Newcomer erhielt; verliehen beim Tanz- und Folkfest (TFF) in Rudolstadt/Thüringen. Beim Preisträgerkonzert nachts um zwei im Heinepark zeigte der Tunesier, dass er nicht nur eine tolle Stimme hat, sondern auch das Potenzial zum charmanten Frontmann. „Oriental Fusion Style“ nennen die fünf Berliner ihre Tanzmusik, man könnte auch von Electro-Rai sprechen. Die Band ist fast bunter als Berlin. Zu ihr gehören auch der Japaner Tomoki Ikeda (Programming), der Algerier Miloud Messabih (Percussion), ein deutscher Bassist mit dem prätentiösen DJ-Namen Shazam und der Deutsche David Beck (E-Gitarre).
Oriental Fusion – das erinnert natürlich an die legendäre deutsche Band Dissidenten, die bereits vor über zwanzig Jahren das epochale Album „Sahara Electric“ produzierten. Doch David Beck macht den Unterschied deutlich: „Die Dissidenten reisten in andere Länder, um mit den dortigen Musikern Neues auszuprobieren. Wir aber leben alle in der gleichen Stadt und sind zusammen eine Band.“
Was in den multikulturellen Metropolen Spaniens, Englands und Frankreichs längst üblich ist, beginnt jetzt langsam auch bei uns. Deutsche und Einwanderer machen gemeinsam club- und partytaugliche Tanzmusik.
Zweiter Beleg ist das Frankfurter Projekt Eastenders, das am Wochenende ebenfalls in Rudolstadt spielte. DJ Stefan Müller und der Gitarrist Cem Buldak (alias Afrit) scharen bei Liveauftritten fünf weitere Musiker um sich. Mit dem in Marburg aufgewachsenen Rapper Sultan Tunc und osteuropäischen Bläser-Samples (die leider nur vom Band kommen) sind sie nicht nur musikalisch heterogener als das Nomad Sound System, sondern damit wohl auch typischer für die deutsche Migrantenwirklichkeit.
An solche Tanzmusik hat niemand gedacht, als vor fünfzig Jahren in Rudolstadt zum ersten Mal zum „Fest des deutschen Volkstanzes“ eingeladen wurde. Nach der Umbenennung zum „Tanzfest der DDR“ gab’s dann jahrelang vor allem Trachtenfolklore aus den sozialistischen Bruderländern zu sehen. Mit der Wende übernahmen das Ruder in Rudolstadt aber Folkmusiker aus Leipzig, verstärkt durch Westkollegen wie Programmdirektor Bernhard Hanneken. Sie machten das TFF schnell zu einem Weltmusikfestival mit europäischer Bedeutung und zum größten derartigen Ereignis in Deutschland. Fünfzehn Jahre ist das jetzt her, auch ein kleines Jubiläum.
Rund zweihundert Konzerte auf zwanzig parallel bespielten Bühnen in der ganzen Stadt bietet Rudolstadt jedes Jahr. Atmosphärisch bekommt man zugleich Freak- und Familienfestival, ebenso vielseitig ist das Musikangebot. Zu den Highlights gehörten diesmal etwa Sergeant Garcia aus Barcelona mit seinem Mestizo-Reggae, Ranarim, die derzeit beste schwedische Folkband, mit ihren zwei Sängerinnen oder der brasilianische Samba-HipHop von Marcelo D2.
Überhaupt war Brasilien dieses Jahr Schwerpunktland. Ungewöhnlichster Gast dabei: Marlui Miranda, eine Sängerin und Stimmkünstlerin aus São Paulo. Wie keine andere hat sie sich mit der archaischen und bisher weitgehend ignorierten Kultur der brasilianischen Indianer vertraut gemacht, verfremdete diese aber zugleich zu einer jazzig-avantgardistischen Performance.
Beim Project „Magic E-Guitars“ standen gleich neun Gitarristen aus der ganzen Welt gemeinsam auf der Bühne und das ausgerechnet auf einem Folkfestival. Aber die Zeiten als Bob Dylan von seinem Publikum „Judas“-Rufe ertragen musste, nur weil er den Folk elektrifizierte, sind vier Jahrzehnte her. Inzwischen scheint Folkrock eher ein Sound für die ältere Generation zu sein, beim E-Gitarren-Projekt waren jedenfalls nur Musiker jenseits der 40 eingeladen. Tapfer hüpften sie kollektiv auf der Bühne, doch die Jugend tanzte lieber beim Nomad Sound System und den Eastenders. CHRISTIAN RATH