: Rute für Langzeit-StudentInnen
■ Hamburger Studi-Protest gegen Zwangsexmatrikulation und Studiengebühren Von Kaija Kutter
Voll war es gestern im Audimax: Rund 3000 Studierende drängten sich im größten Hörsaal der Uni, um ihren Protest gegen Studiengebühren und Zwangsexmatrikulation für Langzeitstudierende kund zu tun. Offenbar mit Erfolg hatte der Asta in den Tagen zuvor ihre Kommilitonen für die Thematik sensibilisiert. Da wurden Studierende mit mehr als 9 Semestern nicht auf den Campus gelassen, mit Nikolaus-Ruten bedacht oder aber in den Vorlesungen von als Behördenvertretern verkleideten Studenten als Langzeitstudenten geoutet. „Manche haben sich total erschreckt, dachten, das wär ernst“, berichtet eine der Aktiven.
Aber noch sind es nur die schlechten Studienbedingungen und die fehlende finanzielle Absicherung (BaföG), die Hamburgs Nachwuchsakademikern am Studium hindern. Ginge es nach dem sogenannten „Eckwerte“-Papier, das die Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaft zur Vorbereitung des Bonner Bildungsgipfels geschrieben hat, so müßten Studierende nach Überschreitung einer Regelstudienzeit Gebühren zahlen und würden nach weiteren zwei Semestern von der Uni fliegen.
Die Vollversammlung, auf der mühsamst eine Resolution erarbeitet wurde, in der der Hamburger Senat aufgefordert wird, sich vom Eckwerte-Papier zu distanzieren, mündete in einer Demonstration zum Rathaus. Doch dort hatte der Bürgermeister für die kleine Delegation, die ihn sprechen wollte, keine Zeit. Schade, hätte er doch begründen können, warum er am 29. Oktober zusammen mit seinen Ministerkollegen aus den übrigen Bundesländer Regelstudienzeiten festlegte, an deren „Nichteinhaltung“ auch „Sanktionen“ zu knüpfen seien. Die im Eckwerte-Papier vorgeschlagenen Maßnahmen bildeten dazu eine „geeignete Entscheidungsgrundlage“, heißt es in der Erklärung der Minister. Allerdings dürfe dies erst nach „Schaffung angemessener Studienbedingungen“ geschehen.
Was sich dahinter verbirgt, ist Dreh- und Angelpunkt der Diskussion. Sozialdemokratische Bildungspolitiker glaubten mit diesem Passus die Zwangsmaßnahmen zu verhindern. Denn die Schaffung „angemessener Studienbedingungen“, würde nach anderthalb Jahrzehnten der Unterfinanzierung der Hochschulen soviel Geld kosten, daß dies unrealistisch sei.
Arne Leskin, Sprecher des Bundesbildungsministeriums, sieht „mehr Geld“ dagegen nicht als zwingende Voraussetzung. Im „Eckwerte“-Papier sind auch allerlei Nettigkeiten enthalten, wie die Verbesserung von Lehre und Studien-Beratung. In Verbindung mit der Neustrukturierung des Studiums und anderen Maßnahmen gebe dies eine „Einheit“, sagt Leskin, die ausreichen könnte, um angemessenene Bedingungen zu schaffen.
Norddeutschlands Wissenschaftsminister sehen das wiederum anders. In einer Erklärung vom Nikolaustag lehnen Wissenschaftssenator Leo Hajen und seine Amtskollegen aus Schwerin, Hannover, Bremen und Kiel Sanktionen als „nicht sachgerecht“ ab. Schön. Auch Hajens potentielle Nachfolgerin, Dorothee Stapelfeld (SPD), hält „Studiengebühren für grundsätzlich keine Lösung“. Da Kultusangelegenheiten Ländersache sind, ist dies gut zu wissen.
Derweil haben die Ministerpräsidenten nächste Woche schon wieder einen Termin beim Kanzler, um über „Schlußfolgerungen“ des Eckwerte-Papiers zu reden. Bis zum 31. Dezember 1995, so hatten sich die Länder-Chefs zum Ziel gesetzt, sollen all ihre erdachten Maßnahmen greifen.
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