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■ Rußlands Präsident versucht, das Schlachtfeld zu sortierenJelzin in Bedrängnis

„Lebed ist die Schlüsselfigur zu einer Siegkombination“, hat Schachweltmeister Garri Kasparow am Wahlabend messerscharf analysiert. Da ist die Lösung, dachte sich Boris Jelzin, schaute auf sein Schachbrett im Kreml und schob die Figuren so lange hin und her, bis ihm die Stellung paßte. Die Einteilung in Schwarz und Weiß kam ihm dabei sehr entgegen. Matt in einem Zug, dachte er bei sich und schritt zur Tat: Alexander Lebed, Shooting-Star der Moskauer Politszene, wird Sekretär des Sicherheitsrates und damit Chef eines der einflußreichsten Führungsgremien des Landes. Darüber hinaus wurde er zum Berater für nationale Sicherheit ernannt. Verteidigungsminister Pawel Gratschow, ein Intimfeind Lebeds und dessen Untergebener im Afghanistankrieg, ist gefeuert. So schnell kann's gehen.

Nun ist Schach ein kompliziertes Spiel, wer wüßte das besser als die Russen. Man weiß nicht immer genau, ob man das Spiel wirklich in der Hand hat. Jelzin kann sich also nicht sicher sein, ob ihm mit der Einbindung Lebeds in seine Regierung und der Entlassung von Gratschow wirklich der große Coup im Kampf gegen Sjuganow gelungen ist. Gut, er war schneller als Sjuganow und hat diesen mit dem Tempo seiner Maßnahme offensichtlich auch überrascht. Aber matt gesetzt hat er den Kommunistenchef noch lange nicht. Jelzin hat mit Lebed nicht gleichzeitig dessen Wähler eingekauft, und er hat sich mit dem geradlinigen Ex- General einen unbequemen Partner in sein Boot geholt, der ihm nicht so ergeben sein wird wie seine Paladine im Kreml.

Am wenigsten schaden dürfte dem Präsidenten dabei noch, daß er seinen autoritären Machtanspruch so gänzlich ungeniert zur Schau stellt. Damit überrascht er keinen mehr. Außerdem ist die Form des Kandidaten- und Stimmenkaufs wie im Falle Lebeds in Rußland durchaus üblich. Es ist etwas anderes, was Jelzin Stimmen kosten könnte: der Eindruck, daß er sich bedrängt fühlt. Jelzin hat bisher immer so getan, als sei sein Sieg reine Formsache. Nach dem knappen Wahlergebnis aber wirkt er angeschlagen. Jelzin ist sich seines Sieges nicht mehr so sicher. Bei einem wie ihm, der seine Stärke in hohem Maße aus seiner Selbstgewißheit bezieht, kann das wahlentscheidend sein.

Jelzins Machtwille ist ungebrochen, allein der treibt ihn noch. Aber seine Überzeugungskraft schwindet in dem Maße, in dem er seinen Willen nicht mehr durchsetzen kann. Vielleicht ist Jelzins Unsicherheit ja Ausdruck dafür, daß das Ende seiner Ära tatsächlich schon begonnen hat. Egal, ob er gewinnt. Jens König

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