: Rußland will Honecker in Bonn sehen
■ Russischer Justizminister drängt Chile zur Herausgabe Honeckers/ Krach zwischen Bonn und Santiago
Bonn (afp/taz) — Die russische Regierung hat Chile offiziell aufgefordert, den früheren DDR-Staats- und Parteichef Erich Honecker „nicht weiter dem russischen Zugriff zu entziehen“ und aus der chilenischen Botschaft in Moskau auszuweisen. Das teilte der russische Justizminister Nikolai Fjodorow dem deutschen Geschäftsträger in Moskau mit. Es könne nicht akzeptiert werden, daß durch das „unfreundliche Verhalten“ des chilenischen Botschafters Clodomiro Almeyda die Entscheidung der russischen Regierung zur Rücküberstellung Honeckers nicht vollzogen werden könne, habe Fjodorow unterstrichen. Der chilenische Außenminister Enrique Silva Cimma sagte in Santiago, er halte eine Einreise Honeckers nach Chile zum gegenwärtigen Zeitpunkt für ausgeschlossen.
Fjodorow bekräftigte, daß die russische Entscheidung in Kraft bleibe. Wenn der 79jährige die Botschaft verlasse, werde er nach Deutschland überstellt.
Chile hat am Freitag den „deutschen Druck“ zur unverzüglichen Auslieferung von Erich Honecker zurückgewiesen. „Unsere Regierung hat gegen das Vorgehen Deutschlands in diesem Fall protestiert“, erklärte der chilenische Außenminister Enrique Silva Cimma nach einer Unterredung mit dem deutschen Botschafter in Santiago, Wiegand Pabsch. Der deutsche Diplomat hatte im Außenministerium eine Demarche der Bundesregierung vorgetragen, um den Aufenthalt des 79jährigen ehemaligen DDR-Staatschefs in der chilenischen Botschaft in Moskau zu beenden.
Der frühere Vize-Präsident des Bundesverfassungsgerichts Martin Hirsch würde Honecker im Falle einer Rücküberstellung und Anklage „gerne verteidigen“. „Es wäre ungeheuer reizvoll, diesen Fall zu verteidigen. Nicht, weil ich Honecker liebe, sondern im Interesse des Rechtsstaats.“ Man könne nicht immer dann, wenn ein Staat zu existieren aufgehört habe, den „Justizknüppel“ schwingen. „Honecker war nun einmal der Überzeugung, daß er die Grenzen der DDR vor den Kapitalisten schützen muß.“ Hirsch hält es für schwierig, Honecker Straftaten nachzuweisen. „Dann müßte man beweisen, daß Honecker persönlich einen umgebracht hat“, sagte er.
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