Russischer "Das Vierte"-Eigentümer im Porträt: Der Kleinkünstler
Dimitri Lesnewski ist Senderchef, Künstler, Filmproduzent und seit kurzem auch Eigentümer des Mini-Senders "Das Vierte". Was will er damit?
"Very strange office", das sei schon ein seltsames Büro, sagt Dmitri Lesnewski, schlendert über die Dachterrasse im Münchner Univiertel und holt sich dann eben selber einen Aschenbecher. Noch ist hier in der Theresienstraße neben den deutschen Sendern von NBC Universal Global Networks auch Das Vierte zu Hause, das Lesnewski im Juni von den Amerikanern übernommen hat. Wie ein Senderboss sieht der Mann in Jeans und trotz des heißen Sommertags langarmigem Freizeithemd nicht aus - und belässt es erst mal beim Small Talk übers Wetter: "Hoffentlich bleibt das Wetter so. Ich mag diese Wärme, zu Hause in Russland ist es mir zu kalt." Dann muss er noch mal weg, der Europachef von NBC Universal ist heute da, es gibt noch einiges zu besprechen. Weiter hinten steht wie als Symbol eine Hollywoodschaukel, die ziemlich unbenutzt und verloren aussieht - mit "Wir sind Hollywood", dem ehemaligen Das-Vierte-Claim, ist jedenfalls Schluss. Doch was kommt jetzt? Lesnewski, der Interviews nicht so wahnsinnig mag, sondern lieber an die Arbeit will ("Ich muss mich hier um meinen neuen Sender kümmern!"), hat sichtlich Spaß an der Verwirrung, die sein Einstieg im deutschen Free-TV-Markt ausgelöst hat: "Zu Hause kennt mich jeder, hier fragen sich jetzt alle: Wer ist dieser Mann aus Russland?"
Sein Werdegang: Dmitri Lesnewski, 38, ist ein russischer Medienunternehmer. Er studierte Journalistik und gründete bereits während des Studiums mit seiner Mutter, Irena Lesnewskaja, den Sender Ren TV. Seine Arbeit: Ren TV startete 1997 und erreicht in Russland einen Marktanteil von bis zu 5 Prozent. Der Sender galt lange als einer der Kreml-kritischsten Russlands und geriet als solcher in der zweiten Amtszeit Wladimir Putins zunehmend unter Druck. 2005 übernahmen Kreml-genehme Banken und die RTL-Group den Sender.
Lesnewski ist heute Chef der Ren Media Group und Eigner der Filmfirma MiniMovies. In Russland vertreibt er weiterhin das regierungskritische Wochenblatt The New Times, obwohl er damit Verlust macht. Sein Ideal: Der Medienunternehmer bezeichnet seine New Times als "Fenster der Freiheit".
Die Fakten zumindest sind schnell erzählt: Lesnewski ist Jahrgang 1970, zusammen mit seiner Mutter hat er TV-Geschichte geschrieben. Den letzten Kreml-unabhängigen Sender Ren TV hat er geleitet, bis man 2005 wegen des immer stärkeren Drucks verkaufen musste - an Kreml-genehme Banken, und, mit dem Ziel der teilweisen Schadensbegrenzung, an die zum Bertelsmann-Konzern gehörende RTL Group. Heute ist der 38-Jährige Chef der Ren Media Group, zu deren bekanntesten Publikationen die Moskauer Zeitung The New Times gehört, ein Putin-kritisches Wochenblatt unter Leitung seiner Mutter Irena Lesnewskaja. Lesnewski hat sich als Filmproduzent einen Namen gemacht und mit The Return und The Banishment zahlreiche Preise gewonnen, seine Firma Minimovie Channel macht sich für den Kurzfilm stark und bietet im Internet das Portal Minimovie.com an. Jetzt gehört Minimovie mit Sitz in Luxemburg auch Das Vierte. Um die 13 Millionen Euro, heißt es in Branchendiensten, habe Lesnewski für Das Vierte berappt, jetzt will er investieren - "so viel wie nötig, vielleicht zehn Millionen, vielleicht vierzig", sagte er dem Spiegel.
Doch über Geld redet Lesnewski nicht so gerne, auch spricht er lieber Russisch als Englisch, übersetzt von seiner langjährigen Mitarbeiterin Elena Fedorova, die als frisch gekürte Geschäftsführerin Das Vierte leitet. Bis 2009 soll der Kanal, der seit Lesnewskis Ankunft in München tapfer Marktanteile knapp über der 1-Prozent-Marke verzeichnet, eine "neue Identität" bekommen. Und den Ökonomen, die ihm gesagt haben, ein Sender sei wie ein Mensch, habe er geantwortet: "Genau, und dieser Mensch bin ich - ein glücklicher Mensch", erzählt Lesnewski: "Da haben sie alle die Augen verdreht. "Die Leute wollen leider nicht glücklich sein", sagt Lesnewski und lacht.
Doch wer in dem sanften Hünen mit der blonden Mähne einen sympathisch-künstlerischen Naivling und Filmfreak sieht, liegt wohl falsch: Den deutschen TV-Markt kennt er genau, er macht sich über dessen "viele Dogmen" lustig - und sagt im gleichen Atemzug auch: "Darauf muss man sich einlassen", und wie sehr er Leo Kirch bewundere. Nachrichten will der künftig bringen, nicht wie die "Tagesschau", versteht sich, sein Herz hängt eher an der US-amerikanischen Nachrichtensendung "Daily Show" von Jon Stewart, die das Weltgeschehen mit Ironie und Satire kommentiert. Aber nicht als Übernahme mit Untertiteln wie jetzt im Programm von Comedy Central. Das Vierte soll anders als bisher anspruchsvolle Eigenproduktionen entwickeln, und eine Stunde am Tag werden künftig Kurzfilme aus dem Minimovie-Fundus laufen. "Warum soll ich etwas machen, wovon es schon genug ohne mich gibt?", fragt Lesnewski und verspricht "dass Das Vierte ein verlässlicher Partner für Zuschauer und Kunden bleibt. Aber neben Serien und Spielfilmen werden wir natürlich auch Neues ausprobieren, um den Sender weiterzuentwickeln." Doch auch hier bitte nicht zu viel Euphorie: Der "Rhythmus wird natürlich auch durch die Realität vorgegeben", schiebt Lesnewski nach. Doch ein klassischer Finanzinvestor wie die Truppe, die gerade bei ProSiebenSat.1 haust, ist er nicht: "Businesspläne auf zehn Jahre", wie er sie sich eben bei irgendwelchen japanischen Sendern angeschaut hat, mag er nicht.
Dass er im deutschen Fernsehen, das sich mangels eigener Ideen in den vergangenen Jahren immer verlässlich auf dem britischen oder amerikanischen TV-Markt bedient, irritieren wird, nimmt Lesnewski dabei gerne in Kauf: "Ob ich es will oder nicht - ich werde sicherlich, im Vergleich zu hiesigen Gewohnheiten, anders, unorthodoxer an die Dinge herangehen." Der deutsche Markt kanns gut gebrauchen. Und was Russland angeht: "Auch sagen viele, ich sei verrückt. Aber alle findens interessant, was ich hier mache."
Dass er mit einem Mini-Sender, der in vielen deutschen TV-Programmen mit der Lupe gesucht werden muss, nicht mal eben den zweitgrößten Fernsehmarkt nach den USA umkrempeln kann, weiß Lesnewski. Es ist ihm angenehmerweise aber egal. Klar ist aber auch: Egal wie viele Millionen er für Das Vierte bezahlt hat und was er künftig noch investieren wird - sein Geld einfach verbrennen wird er nicht. Das hat Lesnewski mit seinen anderen Geschäften stets bewiesen.
Dass man ihn hierzulande dagegen eher argwöhnisch betrachtet, akzeptiert er: "Das verstehe ich gut", sagte Lesnewski dem Spiegel - und kann es sich leisten. Schließlich spielt er, der unabhängige Senderchef, Künstler, Filmproduzent, auch nicht in der klassischen Liga der fiesen Oligarchen. Bei Ren TV hatte er aufgeben müssen, um nicht das Schicksal von Wladimir Gussinski oder Michail Chodorkowski zu teilen: Gussinski, Exchef des noch vor Ren TV beim Kreml in Ungnade gefallenen unabhängigen Senders NTW lebt jetzt im Exil, der Putin-kritische Unternehmer Chodorkowski sitzt sogar nach einem Schauprozess in Sibirien im Knast.
Was unter RTL-Führung aus Ren TV geworden ist (taz vom 24. Juni) mag er nicht kommentieren. Dem Spiegel sagte er sibyllinisch, nach Russland und China wollten derzeit eben alle Medien, weil sich dort gut Geld verdienen lasse - und fügte hinzu, er habe "nicht den Eindruck, dass es etwa in China um die Pressefreiheit gut bestellt ist". Doch zwischen ihm und RTL gebe es "absolut keine hard feelings", sagt Lesnewski jetzt in die Münchner Sonne, erst vergangene Woche sei er in Köln in der deutschen Senderzentrale gewesen.
Die aktuelle Situation in Russland bewertet Lesnewski weiter skeptisch: Was dort bislang auch nach dem Wechsel von Wladimir Putin vom Präsidenten zum Regierungschef ablaufe, sei "ganz klar und daher uninteressant. Es wissen doch alle Bescheid über die Machtverhältnisse." Er denkt lieber an die Zukunft: "Vielleicht ist diese historische Periode bald abgeschlossen, ganz organisch" - schließlich gebe es in Russland zwar keine Pressefreiheit, aber viele freie Menschen. Diese Entwicklung lasse sich nicht mehr zurückdrehen, doch noch fehle in der Breite der russischen Gesellschaft eine klare Haltung, sagt Lesnewski: "Es gibt im Moment keine ernsthafte Nachfrage nach echter Freiheit - es gibt eine große Nachfrage nach der Freiheit, viel Geld zu verdienen."
Und so bleibt Ren Media mit The New Times aktiv, obwohl sich damit kein Geld verdienen lässt. Lesnewskis Kontakt zur Mutter ist eng, heißt es in Moskau. "Wir sind Partner", weicht er in München konkreteren Fragen aus: "Als ich ihr gesagt habe, Mama, es sieht so aus, als ob ich mir einen Sender in Deutschland kaufe, hat sie gesagt: Du kannst zurückkommen, wenn du so groß wie RTL bist."
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