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■ Runder Tisch im KanzleramtKohl konstruktiv

Als in Solingen zum zweiten Mal innerhalb eines halben Jahres deutsche Türkinnen Opfer eines rechtsradikal motivierten Brandanschlages wurden, war das Entsetzen groß. Ausreden halfen nicht mehr, vor allem die sogenannten „türkischen Mitbürger“ verlangten nach Schutz, Aufklärung und politischen Konsequenzen angesichts des grassierenden Rassismus. Zwar verweigerte Helmut Kohl auch nach den Morden in Solingen seine Teilnahme an der Trauerfeier für die Opfer, aber er machte einen „konstruktiven“ Vorschlag. Er werde demnächst zu einem Runden Tisch einladen, um über Maßnahmen gegen die Gewalt zu diskutieren. Die Initiative wurde registriert, ohne überschäumende Erwartung, aber immerhin als ein möglicher Anfang eines neuen Umgangs mit den Immigranten des Landes. Lange hörte man nichts mehr davon, dann, vorgestern, war es plötzlich soweit. Der Runde Tisch nahm Platz. Allein die Länge der Teilnehmerliste war beeindruckend. Da trafen sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer, eine Menge Verbandsfunktionäre, vornehmlich Berufsjugendliche, Medienfunktionäre, Polizisten, Geheimdienstler, Graugansforscher und, als ideeller Gesamteinwanderer, der türkische Botschafter Onur Öymen.

Auch inhaltlich wollte man sich nicht einengen – Gewalt gegen Einwanderer, gegen deutsche Türken sei schließlich nur eine Spielart der Gewalt in der Gesellschaft und würde bei globaler Bekämpfung ja mit niedergerungen. So kam es denn zu einer „offenen Aussprache über Gewalt, ohne wechselseitige Schuldzuweisungen“ (ein Teilnehmer), die noch nicht auf Ergebnisse angelegt war. Polizeispsychologen gaben instruktive Vorträge über steigende Gewaltbereitschaft bei drohendem Werteverfall zum besten, und Frau Bundesministerin Dr. Angela Merkel verwahrte sich gegen den Vorwurf, Jugend und Gewalt gehörten per se zusammen. Was das mit militantem Rassismus, Umgang mit Einwanderern und einem neuen Dialog mit den deutschen Türken zu tun hat? Ziemlich wenig bis gar nichts, außer der unbestreitbaren, wenngleich etwas unspezifischen Einsicht, daß alles mit allem zusammenhängt.

Es gibt aber einen spezifischen Zusammenhang, für den dieser Runde Tisch durchaus Sinn macht. Die Union möchte die Wahlen des kommenden Jahres unter anderem mit dem Thema „Innere Sicherheit“ gewinnen. Dazu bedarf es verschiedener Signale, die nun gezielt gesendet werden. Die Gewaltbereitschaft steigt, und wir tun was dagegen. Sogar parteiübergreifend und im Dialog mit allen gesellschaftlichen Gruppen. So wird ein Runder Tisch zur Wahlkampfstaffage. Jürgen Gottschlich

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