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Archiv-Artikel

Rumsfeld: Krieg ohne Blair

Kaum kommt die britische Regierung mit eigenen Vorschlägen für eine neue Irak-Resolution der UN, erklärt der US-Verteidigungsminister die Kriegsbeteiligung seines besten Verbündeten für verzichtbar

von RALF SOTSCHECK

Ein Irakkrieg ohne Großbritannien? Bis vorgestern erschien das unvorstellbar. Doch dann sagte US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, dass man darüber in Washington durchaus nachdenke. „Ihre Situation ist spezifisch für ihr Land“, sagte er über Tony Blair und sein Kabinett. „Sie haben eine Regierung, die sich mit einem Parlament abgeben muss. Bevor wir nicht wissen, was mit der Resolution ist, wissen wir nicht, welche Rolle sie spielen und in welchem Rahmen sie teilnehmen werden.“

In London lösten Rumsfelds Bemerkungen Wut und Entsetzen aus. Der britische Verteidigungsminister Geoff Hoon rief bei seinem US-amerikanischen Amtskollegen an und bearbeitete ihn so lange, bis er eine schriftliche Klarstellung veröffentlichte: Er habe mit seinen Anmerkungen lediglich verdeutlichen wollen, wie wichtig eine zweite UN-Resolution für die britische Regierung sei.

Wie eine Rücknahme klang das nicht. Hoon betonte: „Es gibt eine totale Zusammenarbeit bei der militärischen Planung.“ Die Briten haben bisher 26.000 Soldaten an den Golf geschickt. Das sind im Vergleich mit den mehr als 200.000 US-Soldaten nicht viele, doch die britischen „Wüstenratten“, wie sie sich nennen, spielen eine wichtige strategische Rolle. Fielen sie aus, müsste Bush einen neuen Schlachtplan entwerfen. „Der Erfolg seiner Bemühungen und das Ansehen des Präsidenten wären stark beeinflusst, wenn Amerikas engster Verbündeter sich dagegen entscheidet, an einer Invasion in den Irak teilzunehmen“, sagt David Abshire, der frühere US-Gesandte bei der Nato. Doch so weit werde es nicht kommen, glaubt Abshire.

Blairs Schwierigkeiten wurden durch Äußerungen von Kofi Annan vorgestern noch verstärkt. „Die Legitimität und die Unterstützung für diese Aktion wären ohne UN-Resolution schwer beeinträchtigt“, sagte Annan in Den Haag. Britische Regierungsbeamte reagierten indigniert: „Wir handeln immer im Rahmen internationaler Gesetze“, erklärten sie. Doch so sicher ist man sich nicht mehr. Juristische Berater der Regierung warnten Blair, dass ein Krieg ohne zweite UN-Resolution illegal sei. Britische Soldaten könnten sich ganz schnell vor Gericht wiederfinden, falls sie versehentlich zivile Ziele angriffen.

Vierzig Abgeordnete der Labour Party haben Blair aufgefordert, zurückzutreten und Platz zu machen für jemanden, der sich „gegen Präsident Bush auflehnt“. Einer von ihnen, Graham Allen, sagte über Rumsfelds Bemerkungen: „Die Katze ist aus dem Sack. Sie schaffen es auch ohne uns und haben Tony Blair eine Möglichkeit verschafft, aus der Sackgasse herauszukommen, wenn er das will.“

Aber das will er gar nicht. Vorgestern rief er zum ersten Mal sein Kriegskabinett aus Ministern und hochrangigen Offizieren zusammen. Gleichzeitig bemühten sich seine Leute weiterhin fieberhaft, die sechs unentschlossenen Länder im UN-Sicherheitsrat auf die US-britische Seite zu ziehen. Die haben jedoch eine Fristverlängerung von 45 Tagen vorgeschlagen, was die USA sofort ablehnten.

Der Daily Mirror, der von Anfang an eine Kampagne gegen den Krieg geführt hat, freute sich über Rumsfelds Ausstiegsangebot, warnte jedoch: „Falls Blair das annimt, wäre es ein erniedrigender Rückzug für ihn.“ Die Sun schrieb gestern, dass der „Schock-Kommentar“ Wasser auf die Mühlen der „Labour-Kriegswackler“ gewesen sei. Das kriegslüsterne Boulevardblatt nahm Rumsfelds spätere „Klarstellung“ zufrieden zur Kenntnis.