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■ Rumänisch-Ukrainische Grenzübergänge geschlossenZeit der Seuchen

Bukarest (taz) – „Die Cholera kann jeden Moment ausbrechen“, warnte in diesem Frühjahr das Gesundheitsamt der rumänischen Hauptstadt. In dem Appell an die zwei Millionen Einwohner der Metropole rief die Behörde auch gleich noch den Hygienenotstand aus – mit gutem Grund: Ein Drittel der Haupstädter muß ohne fließendes Wasser auskommen. Kein einziger der großen Bukarester Lebensmittelmärkte verfügt über Anschlüsse für fließendes Wasser, Toiletten oder andere Sanitäranlagen. Der überwiegende Teil der existierenden Wasserleitungen ist beschädigt, Millionen Ratten bevölkern die Stadt, und Abfall laden die Bukarester überall dort ab, wo gerade ein leerer Platz ist. Denn die Müllabfuhr arbeitet selten oder gar nicht.

Alle Appelle, mit denen die Einwohner Rumäniens gewarnt wurden, haben den Ausbruch der Cholera nicht verhindert: Seit Mitte September sind etwa 100 Erwachsene und Kinder mit Cholera- Symptomen interniert worden, die meisten davon in der mittelrumänischen Stadt Tirgu Mureș und in der südostrumänischen Stadt Galaţi. Bei 46 von ihnen hat sich der Verdacht auf Cholera bestätigt, ein Kind starb bereits an der Krankheit. Eine Kommune bei Tirgu Mureș haben Behörden unter Quarantäne gestellt. Vermutlicher Auslöser der Cholera hier: das Flüßchen Niraj, das durch den Kreis fließt und mit Cholera-Bakterien verseucht ist. Aus ihm holen Bewohner Trinkwasser, weil ihre Brunnen eingetrocknet sind. In anderen Fällen soll die Krankheit durch türkische und ukrainische Touristen eingeschleppt worden sein. Um die Ausbreitung der Cholera-Epidemie zu verhindern, bekommen Bürger aus Staaten, in denen die Pest oder Cholera ausgebrochen ist, wie die Ukraine oder Indien, kein Einreisevisum mehr. Die Grenze zur Ukraine ist zur Zeit ganz dicht.

Die jetzigen Cholera-Fälle in Rumänien sind allerdings nur das schlimmste Symptom der katastrophalen hygienischen Situation im Land. Überall im Land raten Behörden davon ab, Leitungswasser zu trinken. Zeitungen berichten regelmäßig von chemisch oder bakteriell verseuchtem Fluß- und Leitungswasser. Das größte Blatt des Landes, Evenimentul Zilei, erteilt seinen Lesern derzeit in Großbuchstaben Ratschläge: „Hände waschen, nur Mineralwasser trinken, Gemüse und Obst heiß abspülen!“

Die „gefährlichsten“ Regionen scheinen das arme Südostrumänien und das Donaudelta zu sein. Im Kreis Constanţa und im Donaudelta starben im Sommer letzten Jahres Dutzende Menschen an Typhus. In diesem Sommer, behauptet die große Tageszeitung RomÛnia liberã sollen in Südostrumänien gar Menschen mit der Pest infiziert worden sein, was Behörden jedoch verschwiegen hätten. Andere Krankheiten wie Tuberkulose, Hepatitis B und Ruhr haben sich in den letzten Jahren ebenfalls sprunghaft ausgebreitet. Etwa 23.000 TB-Kranke registrierten Gesundheitsämter 1993, bis Ende Juli dieses Jahres mußten bereits weitere 11.500 Tuberkulosekranke behandelt werden.

Verantwortlich für die gestiegene Zahl von Hepatitis-B-Kranken ist in erster Linie die unhygienische Arbeitsweise in Krankenhäusern und Arztpraxen. Einwegspritzen werden mehrfach verwendet, ohne sie richtig zu desinfizieren, anderes medizinisches Gerät wird nicht entsprechend sterilisiert. Vor allem deshalb hält Rumänien auch den Europarekord an aidskranken Kindern, deren Eltern gesund sind: Unter den insgesamt 2.847 HIV-Positiven befinden sich 2.620 Kinder. Während der Behandlung einer anderen Krankheit wurden sie mit Aids infiziert. Keno Verseck

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