Ruiniertes Denkmal: Eine wahre Goldgrube
Seit Jahren verfällt das ehemalige Kinderkrankenhaus in Weißensee. Ist das denkmalgeschützte Areal Investitions- oder Spekulationsobjekt?
Das denkmalgeschützte ehemalige Kinderkrankenhaus in Weißensee verfällt – und das Land Berlin trägt dafür die Verantwortung. Dokumente, die der taz exklusiv vorliegen (PDF), zeigen: Der landeseigene Liegenschaftsfonds hätte sich das Grundstück schon 2006 zurückholen können, weil die Eigentümer nicht wie per Vertrag vereinbart in die Gebäude investieren wollten. Stattdessen passierte jahrelang – nichts. Erst im Mai 2013 trat der Liegenschaftsfonds vom Kaufvertrag zurück. Doch dabei stießen sie auf heftige Gegenwehr der Geschäftsführer des Unternehmens, denen das Grundstück gehört.
Seit 1996 stehen die Gebäude auf dem Areal an der Hansastraße leer. Seit demselben Jahr ist auch das Denkmalamt Pankow auf die im Jahr 1911 gebauten Gebäude aufmerksam geworden und hat sie unter Schutz gestellt. Erst 2005 findet der Liegenschaftsfonds, der für die Vermarktung von landeseigenen Grundstücken zuständig ist, zwei Interessenten für das Gelände. Der Bezirk Pankow war, was die Käufer anging, nicht einer Meinung mit dem Liegenschaftsfonds.
Der Grünen-Abgeordnete Andreas Otto war zu der Zeit Bezirksverordneter in Pankow. „Der Bezirk hat sich für den zweiten Bewerber eingesetzt und nicht für die russische Firma.“ Der zweite Bewerber, das ist das Kultur- und Bildungszentrum (KuBiZ) Raoul Wallenberg in Weißensee, das sich damals extra für den Erwerb des ehemaligen Kinderkrankenhaus-Geländes gründete. Sie planten, Raum für Jugend- und Kreativprogramme zu schaffen, und boten für das Gelände symbolisch einen Euro.
„Uns war klar, dass niemand, der ernsthaft in dieses Gelände mit den Auflagen des Denkmalschutzamtes investieren will, einen hohen Kaufpreis bietet“, sagt Jens Herrmann, einer der Initiatoren des Projekts. Das KuBiZ wollte 2 Millionen Euro in die Bebauung des Geländes stecken. Der Senat und mit ihm der Liegenschaftsfonds verkauften aber an den Höchstbietenden, die russische Firma MWZ Bio Resonanz GmbH. Die verfolgte offiziell die Absicht, ein Zentrum für Krebsforschung zu errichten.
Andreas Otto hat im September 2011 zum ersten Mal eine Kleine Anfrage an den Senat gestellt, in der er sich nach dem Stand der Bebauung des Grundstücks erkundigte. Für ihn ist klar, dass der Liegenschaftsfonds schon früher Maßnahmen gegen die russische Firma hätte ergreifen müssen, als diese sich nicht rührte. „Ich werfe dem Liegenschaftsfonds mangelndes Vertragscontrolling vor“, sagt Otto. „Es hat in dem Vertrag offenbar Investitionsverpflichtungen für den Käufer in mehreren Stufen gegeben, die nicht eingehalten wurden“, sagt er. Was der Liegenschaftsfonds im Vertrag genau mit der russischen Firma vereinbart hat, weiß der Grünen-Politiker aber nicht. Der Liegenschaftsfonds will sich zu Vertragsinhalten der taz gegenüber nicht äußern.
Im Amtsgericht Mitte ist die Grundbuchakte des Geländes gelagert, und darin liegt der Kaufvertrag von 2005. Die taz hat einen Antrag auf Einsicht gestellt, der gewährt wurde. Demnach hat die russische Firma das Gelände für 275.000 Euro erworben. 10 Millionen Euro sollte MWZ Bio Resonanz laut Vertrag in mehreren Stufen bis 2015 in das Gelände investieren. Die erste Zahlung von einer Million Euro wäre bis Ende 2008 fällig gewesen. Ein Bauantrag hätte bis Ende 2006 gestellt werden müssen, sonst hätte der Liegenschaftsfonds den Verkauf rückgängig machen können. Sollte der Käufer nicht investieren, sind vertragliche Geldstrafen geregelt. Doch Bio Resonanz investierte nicht und stellte bis heute keinen Bauantrag. Und der Liegenschaftsfonds zog bis heute keine Konsequenzen.
Herrmann, der mit dem KuBiZ mittlerweile in anderen Gebäuden in Weißensee untergekommen ist, die nur halb so viel Raum haben wie die des ehemaligen Krankenhauses, sagt schlicht: „Die russische Firma wollte nie die denkmalgeschützten Häuser instand setzen. Sie warten, bis alles eine Ruine wird, und dann spekulieren sie mit dem Gelände. Denn dann ist es eine Goldgrube“.
Dass Herrmann mit seiner Annahme wohl nicht gänzlich falsch liegt, zeigt folgender Fund in der Grundbuchakte im Amtsgericht Mitte: Der Liegenschaftsfonds belegte die russische Firma 2011 mit einer Zwangshypothek von 75.000 Euro, als diese nicht zu bauen begann. Daraufhin findet sich in der Akte ein weiterer Kaufvertrag, datiert auf den 26. Oktober 2011: Bio Resonanz versuchte, einen Teil des Geländes inklusive der Zwangshypothek für knapp eine Million Euro weiter zu verkaufen. Das ist drei Mal so viel, wie Bio Resonanz selbst für das gesamte Gelände gezahlt hat. Einziges Hindernis war der Liegenschaftsfonds, der seine Zustimmung, die für einen Verkauf erforderlich war, verweigerte, sagt Erik Roßnagel, Geschäftsführer der Wohnbaugesellschaft Terraplan, die damals kaufen wollte.
Das Gelände liegt also seit 1996 brach. Will man das Areal erkunden, will jeder Schritt gut bedacht sein: Bauschutt und lose Bretter bedecken den Boden. Unvermutet tauchen Schächte auf, die schwarz in die Tiefe luken. Überall ist der Putz von den Wänden gerissen, alle Fenster sind zerschlagen, von einer Etage kann man in die darüberliegende durch riesige Einsturzlöcher in der Decke blicken. Aus den Wänden ragt Kabelsalat. Wohin man auch blickt, ist sichtbar, dass die Gebäude nicht nur zeitlicher Verlotterung ausgesetzt sind. Glassplitter, eingeschlagene Türen und verkohlte Dachgiebel zeugen von Vandalismus. Allein im Jahr 2013 musste die Berliner Feuerwehr 18-mal anrücken, um Brände auf dem Gelände zu löschen.
An einem Samstagnachmittag Mitte Januar ist die Klientel aber ein andere. Das Geplapper spanischer Touristen hallt durch ein Treppenhaus. Zwei Jugendliche filmen Graffiti in zellenähnlichen Räumen, die mal Krankenhauszimmer gewesen sein müssen. Irgendwo kraxelt jemand durch Glassplitter. Hier und da steigt einem ein interessiertes Besucherpärchen mit Spiegelreflexkamera um den Hals entgegen. Dabei ist ästhetische Streetart kaum zu finden, meist ist es Schmiererei. Es ist ganz so, als wäre man auf einer für Besucher ausgewiesenen, historischen Ruine und nicht in einem einsturzgefährdeten Gebäude, das eigentlich nicht betreten werden darf.
Davon hält einen allerdings auch nichts ab. Keine Schilder weisen auf ein Verbot hin. Der Metallzaun ist schon an der breiten Hansastraße an so vielen Stellen niedergedrückt worden, dass man sich gar nicht entscheiden kann, an welcher Stelle man hineingehen soll. Über diese fehlenden Sicherheitsmaßnahmen ist der Pankower Bezirksstadtrat Jens-Holger Kirchner (Grüne) besorgt. Das Gelände zu betreten sei „hochgradig gefährlich“. Da der Eigentümer sich darum nicht schere, sei es nun eigentlich Sache des Bezirks, hier einzugreifen. Das allerdings sei teuer: Kirchner schätzt die Kosten für die Sicherung des Geländes auf etwa 350.000 Euro.
Im Jahr 2011 verhinderte der Liegenschaftsfonds zwar die versuchte Spekulation der russischen Firma, schiebt aber die Instandsetzung der denkmalgeschützten Häuser weiter auf. MWZ Bio Resonanz investiert weiterhin nicht, wechselt im Juni 2013 Geschäftsführer und Firmenadresse und kauft Schuldbriefe im Gesamtwert von 5,25 Millionen Euro.
Da reagierte der Liegenschaftsfonds schließlich doch noch und tritt vom Kaufvertrag zurück. Die Rücktrittsklausel im Vertrag lautet: „Erfüllt der Käufer die Verpflichtungen (Investition von 10 Mio. Euro und Bauantrag) nicht, ist der Verkäufer zum Rücktritt aus diesem Vertrag berechtigt.“
Offenbar ist diese Vertragsklausel unzureichend, denn die Sprecherin des Fonds, Irina Dähne, sagt, dass der Rücktritt nur gültig sei, wenn ihn beide Seiten akzeptierten – und das tue die russische Firma „höchstwahrscheinlich nicht freiwillig“, wie Dähne es formuliert. Darum habe man inzwischen eine Klage gegen den Vertragspartner eingereicht, sagt die Sprecherin. Und noch etwas sagt sie: Jene gerichtlichen Verhandlungen um den Kaufvertrag würden von strafrechtlichen überschattet.
Von der Staatsanwaltschaft Berlin ist zu erfahren, dass gegen zwei der Geschäftsführer von MWZ Bio Resonanz seit 2013 wegen Erpressung im Fall Kaufrückabwicklung mit dem Liegenschaftsfonds ermittelt wird. Die Namen der aktuellen Geschäftsführer lauten Kolja Richard Wirtz und Holger Bernd Johannes Ruckaberle. Haben sie dem Liegenschaftsfonds gedroht, als dieser im Frühsommer 2013 vom Kaufvertrag zurückgetreten ist?
In einer Allee im Grunewald in einem kleinen Kastenbau, dort, wo eine ganze Reihe herrschaftlicher Villen endet, liegt das Büro von MWZ Bio Resonanz. Mehrere Firmen stehen am Türschild. Ein Mann mit grauen Haaren öffnet die Tür und bittet nicht herein. Das Gelände in Weißensee gehöre nicht mehr ihnen, das gehöre dem Liegenschaftsfonds. Ansonsten: „Kein Kommentar“, sagt der Mann, auch nicht dazu, wer er ist. Er dreht sich um, und die Tür fällt ins Schloss.
Was der Liegenschaftsfonds mit dem Gelände macht, sollte es wieder an ihn zurückfallen, sagt Dähne nicht. Die Grünen-Politiker Kirchner und Otto wünschen sich, dass das Gelände für Wohnungsbau genutzt wird. Aber mittlerweile sei die Instandsetzung der Gebäude sehr teuer. Im Grundbuch steht momentan jedenfalls nur eine Eigentümerin: die MWZ Bio Resonanz GmbH.
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