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Archiv-Artikel

Rühmen, das ist’s!

Schriften zu Zeitschriften: Das aktuelle Doppelheft der Zeitschrift „Merkur“ betreibt schonungslose Selbstaufklärung über Ressentiments – die „Blätter“ entlarven schonungslos die Reformlüge

Verschwören sich mit der Kritischen Theorie Unglückliche zur Machtausübung?

Ressentiment ist projizierter Selbsthass, ist Quelle der moralischen Überlegenheit der Unterlegenen, ist (vielleicht bei den Denkern) die schöpferische Verwandlung von Ohnmacht in Intellektualität. Ressentiment ist auch der Themenschwerpunkt des neuen Merkur-Doppelheftes. Ein altertümelnder Begriff, bestens geeignet, um die Gefühligkeit der Verteilungskonflikte in der nivellierten Mittelstandsgesellschaft zu ergründen.

Doch man ahnt es schon: Das Doppelheft ist ein intellektuelles Danaergeschenk an die linke Kulturkritik. Der Preis ist die Delegitimierung ihrer selbstgerechten Opferdiskurse. Man nimmt das mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Schließlich ist es auch befreiend, den doch nur angemaßten Unterlegenheitsgestus endlich abzustreifen. Wie für Jörg Lau, der mannhafte Selbstkritik übt, weil er seiner Freundin in den Siebzigern Theweleits „Männerphantasien“ geschenkt hat. Heute weiß er, was das war: Ein „Sich-Entziehen in die Selbstdämonisierung“, ein „passiv-aggressiver Rückzug ins Ressentiment“.

Thomas E. Schmidt nimmt die „Dialektik der Aufklärung“, genauer: die „unbefragte Legitimitätsvermutung“ in ihrem kritischen Gestus aufs Korn. Erst mit Hilfe der „Dialektik“, einem „intellektuellen Exerzitium der Ohnmacht im Angesicht der historischen Apokalypse“, konnte das Ressentiment zum Organon von Kulturkritik werden. Mit folgender Wirkung: „Sein philosophischer Synkretismus erhöhte die Möglichkeit zur Einstimmung in verzweifelte und doch rebellische Gemütslagen.“ Doch im Fortwirken dieses Lebensgefühls steckt für Schmidt ein antiliberales Exklusionsschema.

Abgeklärter gibt sich Norbert Bolz. Weil in der Demokratie offiziell alle gleich sind, entsteht Ressentiment in der ständigen Vermessung von Diskrepanzen: siehe Ost- und Westdeutschland. Schuld ist mal wieder Adorno: Frei nach Nietzsche erkennt Bolz in der Kritischen Theorie die ästhetische Reformulierung der paulinischen Verschwörung der Leidenden. Für eine ganze Intellektuellengeneration sei diese Theorie der Leiderfahrung „nicht nur denk-, sondern auch lebensstilprägend“ geworden und habe eine Kultur des universalen Mitleids hervorgebracht, die „Machtausübung durch Unglücklichsein“ ermögliche. Das gelte insbesondere für Umweltschützer und Feministinnen, für Globalisierungskritiker und den Multikulturalismus als dem „Verbot der Unterlegenheit“. Im Hinblick auf die Montagsdemos fragt man sich allerdings, ob die Kritische Theorie vor allem in der DDR gelesen worden ist.

In seiner unterhaltsam-genüsslichen Gefühligkeit verflacht der polemische Begriff des Ressentiments in der Analyse gesellschaftlicher Prozesse. Doch gerade diese Schwäche erscheint im Sinne einer ästhetizistischen Daseinsaffirmation ausdrücklich erwünscht. Denn, wie Merkur-Herausgeber Karl Heinz Bohrer in seinem Beitrag anmerkt, zieht uns große Dichtung in eine unwiderstehlich Affirmation hinein: „Wir sind dann Zeugen der gleichen Gegenwärtigkeit, wie wenn in der Ilias die Räder der Kampfwagen vom Blut der gerade Zermalmten gerötet sind.“ Wenn die defizitäre Weltsicht der Kritik sich im Ressentiment verstockt, ereignet sich ein Trugschluss: „Dann entsteht die Idee von Kunst und Literatur als Kritik, und es wird vergessen, dass sie zuerst ein Rühmen ist.“

Die schonungslose Selbstaufklärung des Merkur wirft ihre Schatten, wenn man die Septemberausgabe der Blätter für deutsche und internationale Politik aufschlägt. Sofort bemerkt man in Albrecht Müllers Beitrag „Die Reformlüge“ einen heillos negativistischen Duktus. Dem Autor zufolge unterzieht sich das Land in Sachen Reform einer kollektiven Gehirnwäsche, verordnet von der „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“. Selbst die kritische Intelligenz lässt sich einwickeln von der unwissenschaftlichen Willfährigkeit der Wirtschaftsinstitute und der neoliberalen Dauerpropaganda des Spiegel. Doch am Ende ist man kaum klüger: Alles nur falscher Alarm?

JAN-HENDRIK WULF

„Merkur“. September/Oktober, 18 €;„Blätter für deutsche und internationale Politik“. September, 8,50 €