Saddams Rückzugserklärung: Rückzug mit Bedingungen
■ Völlig überraschend kündigt Bagdad die Möglichkeit eines Rückzugs aus Kuwait an/ Die Erklärung ist hinsichtlich der Bedingungen interpretationsfähig/ Sowjetunion soll den irakischen Umschwung eingefädelt haben/ Irakischer Außenminister Asis wird am Sonntag zu Gesprächen in Moskau erwartet
Die irakische Führung hat gestern mittag überraschend ihre Bereitschaft zum Rückzug aus dem besetzten Kuwait bekanntgegeben.
In einer von Radio Bagdad verbreiteten Erklärung des Revolutionären Kommandorats unter Saddam Hussein hieß es, „um eine würdevolle und akzeptable politische Lösung zu erreichen“, habe der Kommandorat sich dafür entschieden, die Resolution 660 des UNO-Sicherheitsrats einschließlich der Klausel zu akzeptieren, die den Abzug der Iraker aus Kuwait fordert. Irak hat allerdings die Erklärung seiner Bereitschaft, die UNO-Resolution anzuerkennen, mit mehreren Forderungen verknüpft.
In der Erklärung des Kommandorats heißt es, der erste von Irak verlangte Schritt — der Rückzug seiner Soldaten — müsse mit dem Abzug der seit dem 2. August aufmarschierten multinationalen Streitkräfte und ihrer Waffen aus dem Nahen Osten und vom Golf verbunden sein. Darunter verstehe Bagdad auch die militärischen Ausrüstungen, die unter dem Vorwand des Golfkriegs an Israel geliefert worden seien. Beide Lager müßten innerhalb eines Monats nach einem umfassenden Waffenstillstand den Abzug beendet haben, heißt es in der Erklärung. Die Staaten, „die an der Aggression teilnahmen“, sollten den Wiederaufbau im Irak garantieren, durch den Bagdad keine Kosten entstehen dürften.
Zusätzlich sollten die irakischen historischen Rechte zu Lande und zu See ungeachtet einer politischen Lösung garantiert werden. Eine politische Lösung bezüglich Kuwaits solle dem Volkswillen nach „realen demokratischen Praktiken“ Rechnung tragen und nicht den Privilegien der Herrscherfamilie. Alle „islamischen und nationalen Kräfte sollten an einer politischen Lösung in Kuwait beteiligt werden“, hieß es.
Der Rückzug der Iraker „sollte mit dem Abzug der Israelis aus dem besetzten Palästina und anderen arabischen Gebieten auf den Golanhöhen und in Libanon gemäß Beschlüssen des Sicherheitsrats und der Vollversammlung der UNO verbunden werden“, heißt es in der Erklärung. Sollte Israel sich dem Abzug widersetzen, müsse der UN-Sicherheitsrat gegen Israel die gleichen Maßnahmen ergreifen wie gegen Irak, lautet es weiter.
Das US-Oberkommando in Saudi-Arabien teilte gestern mit, daß die Bombardierungen und andere militärische Aktivitäten der Alliierten nicht eingestellt worden seien. „Es läuft nichts anderes“ als vor der von Radio Bagdad ausgestrahlten Erklärung, sagte ein Sprecher in Riad.Bagdad/Nikosia, dpa/ap
Die Ankündigung des Iraks wurde von der sowjetischen Führung mit „Befriedigung und Hoffnung“ aufgenommen. In den vergangenen Tagen hatte die Sowjetunion eine führende Rolle bei den Bemühungen um ein Ende des Golfkriegs übernommen. Es wird für möglich gehalten, daß sie eine entscheidende Wende in der Haltung der irakischen Führung bewirkt haben könnte. Wenige Stunden vor der irakischen Erklärung hatte der sowjetische Präsident Gorbatschow der italienischen Regierung bereits von einer gewissen Verhandlungsbereitschaft der irakischen Führung berichtet. Am Dienstag hatte sein Gesandter Primakow als erster Vertreter des Ständigen Sicherheitsrats seit Kriegsbeginn in Bagdad mit dem irakischen Präsidenten Saddam Hussein gesprochen.
Für Sonntag ist der Besuch des irakischen Außenministers Tariq Asis in der sowjetischen Hauptstadt angekündigt. Gestern nachmittag wurde der iranische Außenminister Ali Akbar Welajati in Moskau erwartet. Die „diplomatische Drehscheibe“ Moskau hatte bereits am Mittwoch den französischen Außenminister Roland Dumas empfangen. Einen Tag später beriet der kuwaitische Außenminister Sabah el Ahmed el Dschabir as-Sabah mit der sowjetischen Führung über den Golfkrieg. Primakow führte gestern mit der japanischen Regierung Gespräche über den Konflikt am Golf.
Die Ergebnisse von Primakows Gesprächen in Bagdad gaben seit Tagen zu Spekulationen und Hoffnungen Anlaß. Der sowjetische Außenamtssprecher Tschurkin hatte jedoch vor zu großem Optimismus gewarnt und betont, daß Primakow sich nach seiner Rückkehr äußerst vorsichtig geäußert habe. Primakow hatte mit Saddam Hussein über mögliche Garantien der internationalen Staatengemeinschaft zur „territorialen Integrität des Iraks“ nach einem Abzug aus Kuwait gesprochen. Er gab an, einige „Hoffnungsschimmer“ in den Äußerungen des irakischen Präsidenten erkannt zu haben.
Bei ihrer Mission „der Vermittlung zwischen Krieg und Frieden“ ist der Handlungsspielraum der UdSSR äußerst gering. Einerseits hat Moskau versichert, weiterhin hinter allen UNO-Resolutionen zu stehen. Andererseits wächst die innenpolitische Kritik an der sowjetischen Haltung im Golfkonflikt.
Gestern äußerte der Kommentator der Armeezeitung 'Krasnaja Swesda‘ (Roter Stern) erstmals die Ansicht, es sei ein Fehler der UdSSR gewesen, der UN-Resolution 678 zuzustimmen, die den Einsatz von Gewalt gegen den Irak erlaubte. Dadurch sei die Chance auf Frieden verspielt worden. Der Kommentator warf der sowjetischen Führung weiter vor, sich nicht am 15. Januar dem französischen Vorschlag einer Nahost-Konferenz angeschlossen zu haben. „Der Irak muß sich aus Kuwait zurückziehen, aber die UdSSR muß versuchen, taktische Änderungen im Rahmen dieser strategischen Linie herbeizuführen“, schloß der Kommentar.
Moskau, afp
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