: Rückzug der Westler
■ Ex-Berater Gorbatschows schreiben neues Wirtschaftskonzept für Rußland
Moskau (AFP/taz) – Die russische Regierung sucht nach einer neuen Wirtschaftspolitik und greift dabei auf alte Theorien und alte Kräfte zurück. So wurden am Wochenende zwei ehemalige Wirtschaftsberater des früheren sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow beauftragt, Vorschläge für eine Neuorientierung des Reformkurses auszuarbeiten und sie bis Mitte Februar der Regierung vorzulegen. Zuvor hatten die beiden wichtigsten westlichen Wirtschaftsberater von Präsident Jelzin, Jeffrey Sachs und Anders Aslund, ihren Rücktritt erklärt: „Wir können der russischen Regierung nicht mehr helfen. Die Ziele von Ministerpräsident Tschernomyrdin stehen unseren eigenen Vorstellungen stark entgegen.“ Nun gehe es um eine Verbindung von Plan- und Marktwirtschaft. Die Wirtschaftsexperten kündigten an, weiter mit den russischen Reformern der „neuen Generation“ zusammenarbeiten zu wollen.
Auf das Aussscheiden der beiden westlichen Berater reagierte der Sprecher von Ministerpräsident Tschernomyrdin ohne großes Bedauern und mit überraschender Deutlichkeit: Der Premier habe noch nie die Dienste ausländischer Wirtschaftsberater in Anspruch genommen. Er sei der Ansicht, daß die „mechanistische Übernahme westlicher Wirtschaftsmethoden Rußland mehr Schaden als Nutzen gebracht habe“.
Die Angliederung der Ex-Gorbatschow-Berater Nikolaj Petrakow und Leonid Abalkin an das Industrieministerium macht deutlich, daß vor allem im Industriesektor ein neuer Motor für die russische Wirtschaft gesucht werden soll. Ziel ist es, einen weiteren Produktionsrückgang zu verhindern, gleichzeitig ist aber auch an die Stillegung nicht rentabler Betriebe gedacht. Außerdem sollen Maßnahmen zur Bekämpfung der Inflation durch nichtmonetaristische Methoden ausgearbeitet werden. Petrakow und Abalkin, die von 1989 bis Anfang 1991 für Gorbatschow arbeiteten, gelten als Anhänger eines allmählichen Übergangs zur Marktwirtschaft.
Mit harten Worten hat der russische Außenminister Andrej Kosyrew die Kritik der USA an der neuen Regierung zurückgewiesen. Die USA dürften nicht erwarten, daß Moskau alle Schritte mit Washington abspreche. Außerdem fehle den USA auch die notwendige Kompetenz zur Beurteilung der neuen Minister. Die US-Regierung hatte sich „beunruhigt“ über die Veränderungen im russischen Kabinett gezeigt: Zwar kenne man die neuen Minister, wisse aber nicht, wie sie handeln würden. US- Präsident Clinton hatte die Höhe der internationalen Finanzhilfen für Rußland an die Form der russischen Reformen geknüpft.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen