Rücktritt von Ankaras Bürgermeister: Widerstand zwecklos
Melih Gökcek, seit 23 Jahren Bürgermeister von Ankara, hat auf Drängen von Staatspräsident Erdogan sein Amt niedergelegt.
Seit Wochen wird er erwartet. Nun hat er seinen Rücktritt verkündet. Ankaras Bürgermeister Melih Gökçek ist am Samstag zurückgetreten. Bei der Pressekonferenz berichtete Gökcek, der seit 23 Jahren das Amt ausführt, zunächst von seinen Amtsleistungen und sagte: „Mein Rücktritt wurde von Recep Tayyip Erdogan gefordert. Du bist so schön, Ankara.“
Als vor einigen Wochen die ersten Gerüchte aufkamen, dementierte Gökcekc diese noch. Seine Pressekonferenz beendete er nach dem Rücktritt mit folgenden Worten: „Ich habe ein Bittgebet. O Herr, lass diejenigen, niedergehen, die sich so geben als seien sie von uns, die es jedoch nicht sind und deren Aufgabe es ist, eine Kluft zwischen unserem Führer und seinen Nächsten herzustellen.“
Gökçeks Bezirkskarriere begann 1984 als Kreisvorsitzender in der Ankaraner Provinz Keçiören. Als Parlamentsabgeordneter der Wohlfahrtspartei (türkisch: Refah Parti, Vorgängerin der AKP), für die er bei den Wahlen 1991 antrat, war Gökcek längst nicht so engagiert wie später als Bürgermeister, zu dem er zwei Jahre später gewählt wurde.
Springbrunnen-Debatte
fing 2012 als Journalist bei der Nachrichtenagentur Dicle Haber Ajansi an. Arbeitete mehrere Jahre in den kurdischen Gebieten. Momentan als politischer Korrespondent in Ankara tätig.
Die Springbrunnen-Debatte steht ganz oben auf der Liste unvergesslicher Ereignisse in Zusammenhang mit Gökcek, an die nun die Nachricht „Gökcek quittiert den Dienst“ unweigerlich denken lässt.
Als sich im Sommer 2013 die Gezi-Proteste auf die gesamte Republik ausgebreitet hatten, interessierte sich Gökcek nur für einen beschädigten Springbrunnen vor dem Bezirksgebäude. „Wer hat den Springbrunnen beschädigt“, fahndete er nach den Übeltätern auf Twitter. Sein Tweet wurde zum Gespött der Gezi-Demonstrierenden, die sich tagelang über Gökcek lustig machten. Der Täter wurde bis heute nicht gefasst.
Eine weitere unvergessliche Gökcek-Story ist die Keciören-Metro. Als die Zugverbindung nach 13 Jahren Bauvorhaben immer noch nicht fertig war – ursprünglich waren fünf Jahre angedacht – schaltete sich das Bundesverkehrsministerium ein. Nach der Eröffnung der Metrolinie mussten sich Teenager eine Alternative für den Ausspruch „Unsere Liebe wird, wie die Keciören Metro, nie enden“ finden.
Machenschaften
Mit den Mega-Einkaufszentren und den strittigen Gentrifizierungsprojekten sei Ankara keine Metropole, sondern Provinzpole, so der Politikwissenschaftler Tanil Bora. Mit der Bezeichnung möchte Bora kritisieren, dass Ankaras Entwicklung trotz jener oberflächlichen Kosmetikeingriffe niemals den Stand einer wirklich modernen Metropole erriechen konnte. Für Aufsehen sorgten auch die vom Bezirk in der Innenstadt eröffneten Geschäfte, für die sich Gökcek gerne selbst rühmt -und deren Geschäftsführung an Personen aus dem Bekanntenkreis von Gökcek übertragen wurden.
Gökcek ist bekannt für die Strategien, mit denen er seine politische Gegner bekämpft. Bei den Regionalwahlen 2009 zog Gökceks Konkurrent Turgut Altinok seine Kandidatur für den Posten des Bürgermeisters zurück. Grund dafür war ein Erpresservideo, hinter dem Melih Gökcek stecken soll. In der Politszene wird gemutmaßt, dass Gökceks langer Atem in der Politik auf dieses Video zurückgeht.
Gökcek steckt auch hinter den Wahnsinnsprojekten, die das Leben der Hauptstädter „versüßen“ sollen. Die 14 Millionen Lira (ca. 3,3 Millionen Euro) teuren Dinosaurierskulpturen im Ankarapark sind nur ein Beispiel für Gökceks Ausspruch „Ich träume und der Architekt zeichnet die Baupläne“.
Ein Meer für Ankara
Auch wenn ein weiterer Ausspruch, nämlich „das Meer nach Ankara bringen“, ein in der Türkei bekannter Scherz ist, hat Gökcek auch diesem mit einem Megaprojekt ein Gesicht gegeben. Vor den vergangenen Wahlen kündigte er an, einen 11 Kilometer langen Kanal zu bauen und damit Ankara einen eigenen Bosporus samt Brücke zu verschaffen.
Während die Diskussionen über Gökcecks Rücktritt in vollem Gange waren, kam heraus, dass der Ex-Bürgermeister 41 Grundstücke in den Ankaraner Bezirken Altındağ, Pursaklar, Keçiören, Yenimahalle, Etimesgut, Çankaya und zum Verkauf freigestellt habe. Laut Medienberichten soll er bereits in den letzten sechs Monaten Grundstücke im Wert von 1,4 Milliarden Lira (ca. 318 Millionen Euro) verkauft haben.
Bis bei den Regionalwahlen 2019 ein neuer Bürgermeister für Ankara gewählt wird, soll Gökcecks bisheriger Stellvertreter, Ali Ihsan Ölmez, die Geschäfte übernehmen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!