Rücktritt der rumänischen Regierung: Die Menschen sind müde und erschöpft
Rumänien ist kein Einzelfall in Mittel- und Südosteuropa. Die harte Reformpolitik führt zu Demokratieskepsis und Distanz zum einst vergötterten Westen.
BERLIN taz | Zuletzt waren es nur noch wenige Standhafte, die es bei Eiseskälte mit ihren Protesten auf die Straßen rumänischer Städte trieb. Eigentlich kein Grund für einen Regierungschef, zurückzutreten. Doch Rumäniens Machthaber wissen wohl, wie explosiv die Situation im Lande ist.
Das drastische Spar- und Reformprogramm, dem die Rumänen unterworfen sind, geht ins dritte Jahr. Als "verheerend" bezeichnet der Bukarester Politologe Cristian Parvulescu die sozialen Folgen dieser Politik. "Heute sind in Rumänien nicht einmal mehr die minimalen Elemente der sozialen Demokratie geschützt", so Parvulescu.
Doch Rumänien ist kein Einzelfall in Mittel- und Südosteuropa. Die Folgen der für die Region so ruinösen Finanzkrise 2008 sind noch nicht überstanden, da geraten immer mehr Länder erneut in eine finanzielle und ökonomische Schieflage, kämpfen mit ausufernden Schulden, Rezession und Arbeitslosigkeit.
Estland und Bulgarien haben den Beitritt zur Eurozone mit einer Finanzpolitik erkauft, die immer mehr Menschen in Armut stürzt. In Lettland und Litauen bleiben die Aussichten nach dem Einbrechen der Volkswirtschaften 2009 düster, in Polen, der Slowakei, Ungarn und Rumänien sind es jeweils vor allem die östlichen Landesteile, die mit Verelendung zu kämpfen haben.
Zwei Jahrzehnte Reformen
Dabei haben die osteuropäischen Staaten bereits zwei Jahrzehnte nahezu ununterbrochener Reformen und harter Sparpolitik hinter sich. In den Augen einer großen Bevölkerungsmehrheit hat sich die Hoffnung auf bessere soziale Verältnisse, die mit der EU-Osterweiterung verknüpft waren, nicht erfüllt.
Inzwischen sind die allermeisten Menschen in der Region erschöpft. Demokratiemüdigkeit, Euro-Skeptizimus und Abneigung gegen den einst vergötterten Westen wachsen. "Die Gefahr ist, dass ganze Gesellschaftsschichten oder Regionen wie Ostpolen, die Ostslowakei und Ostungarn der Hoffnungslosigkeit und dem Extremismus zum Opfer fallen", sagt der ungarische Wirtschaftswissenschaftler und Publizist Laszlo Lengyel. In Rumänien hat das Vertrauen der Bürger in den Staat, in Parteien, in die Demokratie überhaupt ein Rekordtief erreicht.
Viele rumänische Beobachter diskutieren die Frage, wie groß die Krise der Demokratie im Land ist und ob es zu "antisystemischen Protesten" kommen könnte. "Wenn Rumänien keinen inneren Ansporn zur Überwindung der jetzigen Krise findet", warnt der Ökonom Daniel Daianu, "dann wird es die Errungenschaften der Demokratie nicht bewahren können, und dann lassen sich die Schäden nicht mehr begrenzen."
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