Rückblende: Wenn man es theoretisch krachen lässt
An zwei Abenden im HAU begeht man die Buchpremiere von „Nachtleben Berlin – 1974 bis heute“. WestBam plaudert, Gudrun Gut legt auf.
Vielleicht ist der Themenkomplex „Nachtleben in Berlin“ ja dann doch endgültig durchleuchtet. Nun, da es am Wochenende die gleichnamige Veranstaltung zum gleichnamigen Buch (das das Supplement „1974 bis heute“ im Titel trägt) im Hebbel am Ufer (HAU) gab. Nach David Bowie, Westbam und zig So-war-und-ist-Berlin-Büchern und -Ausstellungen könnte ja nun alles gesagt sein.
Obwohl – man weiß es nicht. Denn Jürgen Laarmann – Gründer der berühmten Technozeitung Frontpage und zeitweise Mitveranstalter der Loveparade, daran wurde auch im HAU nochmal erinnert – drückt einem noch schnell einen Flyer in die Hand, der eine Nacht mit Westbam und DJ Fetisch nächstes Wochenende im Weekend bewirbt.
Westbam stünde nochmals für ein Interview zur Verfügung, sagt er. Vielleicht gibt es ja auch tatsächlich noch jemanden, der sich von dem zugegebenermaßen stets äußerst amüsanten Club-Historiker erzählen lassen möchte, wie das denn damals so war, als die Mauer noch stand und den Berlinern erst beigebracht werden musste, was ein DJ ist.
Weil Westbam in besagtem Buch zum „Nachtleben Berlin“ über seine Zeit als Plattenaufleger im Metropol am Nollendorfplatz berichtet, was sehr lange her ist, da er damals, wie man auf einem Foto sehen kann, noch eine Art Frisur hatte, muss er im HAU die Geschichten, die im Buch nachzulesen sind, genau so noch einmal erzählen. Von den vielen Schwulen in dem Laden, der Mischung aus frühem House, Electro und HipHop, die dort damals zu hören war, und Westbams Unlust, Musikwünsche zu erfüllen. Und irgendwie hört man dem Berliner Techno-Star ja auch gerne zu, auch wenn man diese ganzen Anekdoten circa einmal zu oft gehört hat.
So ähnlich geht es einem auch mit dem Prachtband „Nachtleben Berlin“, der hier bei einer zweitägigen Buchpräsentation beworben wird. Es handelt sich dabei um ein wirklich tolles Coffeetable-Book zum Angeben. Spektakuläre Fotos von Rainald Goetz beim Plattenauflegen, Partyszenen und irgendwelchen Szenefreaks während oder nach dem Absturz.
Kippenberger, Bar 25, alles und jeder ist dabei – und dass der Beginn der Berliner Ausgehkultur mit Romy Haags Schwulen- und Tuntenladen „Chez Romy Haag“ Mitte der Siebziger angesetzt wird, unterstreicht – zusammen mit der heutigen Bedeutung des Berghain –, wie viel Berlin seiner Schwulenszene zu verdanken hat.
Ausgesuchte Autoren schreiben über ausgesuchte Locations – Blogger Airen über das Berghain, Schriftsteller Bernd Cailloux über das Café M, der heutige Spiegel- und ehemalige taz-Musikredakteur Tobias Rapp über das about:blank. Und das Club-Glossar am Ende des Readers lässt auch nicht die unbedeutendste Kaschemme, die irgendwann mal zwei Wochen lang existierte, unerwähnt.
Alles macht total Sinn in diesem schönen Reader, ist super stimmig, endlich konnte auch mal Volker Hauptvogel von der leider vergessenen Berliner Postpunkband MDK (Mekanik Destrüktiw Komandöh) als Chronist für einen Erinnerungstext gewonnen werden, und selbst der sonst viel zu wenig gewürdigte und längst verblichene Szeneladen „Sniper“ bekommt eine verdiente Hommage.
Aber irgendwie verschwimmt doch bald alles zu einer schon so oft vernommenen, schier endlosen Beschreibung von legendären Partys in legendären Clubs bei Dauerkonsum von viel zu viel Drogen, und man fragt sich bald, warum man im Vergleich zu all dem geschilderten Wahnsinn selbst so ein langweiliges Leben führt. Über Musik reden ist wie zu Architektur zu tanzen – dieser Steve Martin zugeschriebene Satz wird gerne zitiert. Über Partys und Exzesse nüchtern und zur „Tagesschau“-Zeit in einem Theater zu reflektieren ist dementsprechend schwierig, stellt man fest.
Ausschweifungen fehlen jedenfalls bei dieser Veranstaltung. Einen Tag lang wird im HAU über die wilde Zeit vor der Wende bei passendem musikalischen Rahmenprogramm diskutiert, an Tag zwei geht es um die Zeit nach dem Mauerfall. Auffallend ist es schon, dass sich so gut wie keine Jungraver für die nicht enden wollenden nostalgischen Anfälle der Alten zu interessieren scheinen. Die schlafen wahrscheinlich gerade vor, um es später in der Wilden Renate oder irgendwo in Neukölln nicht nur theoretisch krachen zu lassen. So in etwa war es auch im „Dschungel“, in der „Paris Bar“, in der „Maria“ – darüber wird erzählt, von denen, die die Läden noch erlebt oder selber geschmissen haben.
Das mit der historischen Revue im Musikprogramm funktioniert auch nur mäßig. Am „Vor der Wende“-Abend läuft zwar schon im Foyer Michael Jackson – das könnte aber auch darauf hindeuten, dass man sich auf einer offiziellen Ü-30-Party befindet. Robert Lippok, der sich schon in der DDR in Ostberlin in seiner Band Ornament und Verbrechen als Experimentalmusiker hervorgetan hat, schraubt an seinem Laptop herum, wobei sich nicht feststellen lässt, ob er da Achtzigerelektronik spielt oder Aktuelles, das wie Achtzigerelektronik klingt.
Als Gudrun Gut eher gelangweilt Birthday Party und The Normal auflegt, also einen klar identifizierbaren Mauerstadt-Soundtrack, und dazu ein zarter Hauch Trockeneisnebel aufsteigt, wollen sich die Bilder des ausgemergelten jungen Blixa Bargeld oder von der Ratten-Jenny im Kopf einfach nicht scharf stellen. Viele stöbern vielleicht auch deshalb noch ein wenig in der Auslegware (die nicht etwa von einer Berliner Szenebuchhandlung, sondern von Dussmann gestellt wird) und in dem Premierenbuch herum: um zu sehen, wie es in Berlin mal aussah, als man zu so einer Musik wirklich noch getanzt hat.
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