Rück- und Ausblick des taz-Aufsichtsrats : Sich einmischen und Verantwortung übernehmen
Das ablaufende 2025 war erneut ein Jahr voller Krisen und Rückschritte in der Welt. Doch der Aufsichtsrat der taz Genossenschaft entdeckt auch Zeichen der Hoffnung, nicht nur in der taz. Einige Gedanken zum Jahreswechsel.
taz Genossenschaft | Wenn die Tage kurz sind und Weihnachtsbeleuchtung unsere Innenstädte zieren, spätestens dann drängt sich die Frage auf, was für ein gemeinsames Jahr hinter uns liegt. In Zeiten sich stetig aufbauender Krisen fällt es uns leicht, gedanklich ins Negative zu rutschen.
Vor einem Jahr begann unser geschätzter nun ehemaliger Aufsichtsrats-Kollege Hermann-Josef Tenhagen seinen Text an dieser Stelle mit der Erinnerung daran, dass verschiedene Kriege auf dieser Welt wüten und Menschen unbeschreibliches Leid zufügen. Viele von ihnen halten, zwölf Monate später, noch immer an oder eskalieren weiter.
Auch jenseits bewaffneter Konflikte ist die weltpolitische Lage chaotisch. Drastische Zölle werden angedroht und im Handumdrehen wieder einkassiert. Jahrzehntelange Bündnisse und Partnerschaften zerbröckeln innerhalb weniger Wochen. Internationale Hilfsprogramme werden zusammengestrichen und Werte durch Interessen ersetzt.
Positive Entwicklungen
Hierzulande blicken wir neben Rezession und menschenunwürdigen Stadtbilddebatten auf eine desolate Koalition, die an ihren Grundsätzen scheitert und lieber rechte Narrative bedient, als Realpolitik zu machen. Und das alles in einer sich stetig zuspitzenden Klimakrise und angesichts der Frage, wie künstliche Intelligenz in alledem eine Rolle spielen wird.
Die Weltlage ist kompliziert, kein Zweifel. Doch während uns das Schlechte schnell in den Sinn kommt, ist es wichtig, auch positiven Entwicklungen Raum zu geben: Bis 2030 sollen jährlich mindestens 200 Milliarden US-Dollar in den Schutz der Natur und Artenvielfalt fließen.
„Fortschritt fällt nie vom Himmel. Er entsteht dort, wo Menschen sich einmischen, Verantwortung übernehmen und demokratische Räume verteidigen“
Auch der Ausbau erneuerbarer Energie geht stetig voran und machte 2024 etwa 90 Prozent aller neu geschaffenen Energiekapazitäten aus. Fortschritte in der Medizinforschung machen uns vorsichtig Hoffnung auf Impfstoffe gegen Krebs und HIV. Auch politisch gibt es einige erfreuliche Wendungen: In den Niederlanden konnte die sozialliberale Partei Democraten 66 die Wahl für sich gewinnen – wenn auch nur knapp.
■ 1992 entschieden sich die Mitarbeiter:innen der taz, ihren selbstorganisierten Zeitungsbetrieb in eine Genossenschaft umzuwandeln, die „taz, die tageszeitung. Verlagsgenossenschaft eG". Großer Vorteil: Die wirtschaftliche und publizistische Kontrolle der taz liegt bei den tazler:innen selbst. Und der Zeitungs- bzw. Medienbetrieb taz steht nicht in der Pflicht, gewinnorientiert zu arbeiten. Vereinfacht gesagt: Ziel und Sinn der taz Genossenschaft sind nicht Profit und Rendite, sondern die Verbreitung von freiem und unabhängigem Journalismus.
■ Gleichwohl strebt die taz im Alltag natürlich eine möglichst kostendeckende Wirtschaftsweise und einen ausgeglichenen Jahresabschluss an, denn andernfalls müsste das begrenzte Eigenkapital für die Verluste herhalten. Doch dieses Eigenkapital ist eigentlich für besonders miese Zeiten oder außergewöhnlich große Investitionen reserviert, wie etwa die Anschaffung eines neuen Redaktionssystems oder Bau und Renovierung von Redaktionsgebäuden. Das Eigenkapital ist quasi eine Art wirtschaftlicher Schutzschild und Möglichmacher zugleich.
■ Wer Mitglied der taz Genossenschaft werden möchte, muss einen Genossenschaftsanteil von 500 Euro kaufen. Doch die damit erworbene Mitgliedschaft beruht nicht auf einem schlichten Leistungsaustausch wie etwa im Fitnessstudio, und Rendite gibt es auch keine. Finanziell betrachtet stärkt jedes neue Mitglied der taz Genossenschaft den wirtschaftlichen Schutzschild der taz. Ideell betrachtet setzt jedes Mitglied ein deutliches Zeichen für die Unterstützung einer echten freien und unabhängigen Presse. Was will mensch mehr?
■ Mehrere Gremien sorgen übrigens für die interne Kontrolle der taz und ihrer Genossenschaft: Aufsichtsrat (drei Personen, ehrenamtlich), Vorstand (fünf Personen), Generalversammlung der Mitglieder und Versammlung der mitarbeitenden Mitglieder. Zu den Gremien der taz gehören außerdem der Redaktionsrat und die Redaktionsversammlung. Das Zusammenspiel all dieser Gremien wird durch die Satzung und das Redaktionsstatut geregelt.
Starkes Signal
Doch all diese Beispiele haben eines gemeinsam: Fortschritt fällt nie vom Himmel. Er entsteht dort, wo Menschen sich einmischen, Verantwortung übernehmen und demokratische Räume verteidigen. Genau darum geht es auch bei der taz – und bei Ihnen als Genossinnen und Genossen.
2025 war für unsere Genossenschaft ein besonderes Jahr. Mit dem Erreichen der Marke von über 25.000 Mitgliedern haben wir einen Meilenstein gesetzt, der weit über eine symbolische Bedeutung hinausgeht. Jede neue Stimme stärkt nicht nur die wirtschaftliche Basis der taz, sondern auch ihre publizistische Unabhängigkeit in einem Medienumfeld, das immer stärker von Tech-Konzernen, Milliardärsfonds oder staatlicher Einflussnahme geprägt ist. Dass wir uns dieser Entwicklung widersetzen können, liegt vor allem an Ihnen.
Besonders stolz macht uns auch das Generationenprojekt, das in diesem Jahr gestartet wurde: Über 300 junge Menschen unter 25 sind der Genossenschaft beigetreten – deutlich mehr als wir uns zu Beginn erhofft hatten. Es ist ein starkes Signal und ein Bekenntnis, das junge Stimmen stärkt, Medienkompetenz fördert und zeigt, dass gesellschaftliche Teilhabe früh beginnt. Viele von Ihnen haben diese Initiative mit großem Vertrauen unterstützt. Dafür danken wir Ihnen von Herzen.
Gemeinsame Idee
Auch innerhalb der taz selbst war 2025 ein Jahr der Veränderung. Durch die Seitenwende haben wir eine der größten Transformationen der deutschsprachigen Medienlandschaft losgetreten – für Redaktion, Verlag und Genossenschaft gleichermaßen.
Neue Formate, andere Lesegewohnheiten, steigende technologische Anforderungen: All das verlangt Mut, Investitionen und einen langen Atem. Die taz hat ihn, weil Sie ihn haben. Und sie hat ihn, weil sie nicht der Logik des schnellen Profits folgt, sondern einer gemeinsamen Idee: unabhängiger Journalismus als öffentliches Gut.
Ein weiteres, sichtbares Zeichen dieser Entwicklung ist das fast abgeschlossene Sanierungsprojekt in der Rudi-Dutschke-Straße. Unser altes Haus bekommt nicht nur ein frisches Erscheinungsbild, sondern auch neue Räume für Veranstaltungen, Begegnung und Austausch. 2026 möchten wir Sie dorthin einladen – damit Sie sehen, was aus Ihrer Unterstützung entsteht, ganz konkret, Stein für Stein.
Entschlossen weitergehen
Wenn wir auf das kommende Jahr blicken, wissen wir: Die Herausforderungen werden weder kleiner noch weniger. Aber wir wissen auch, dass uns etwas trägt, das stabiler ist als jede politische Wetterlage: eine Genossenschaft, die auf Zusammenhalt setzt statt auf Zynismus, auf Beteiligung statt auf Verdrossenheit, auf Verantwortung statt auf Gleichgültigkeit.
Wir möchten mit Ihnen gemeinsam das Generationenprojekt fortführen, die Weiterentwicklung entschlossen weitergehen und die taz als Gegenmodell zu einer zunehmend polarisierten Medienlandschaft stärken.
Jede neue Genossin, jeder neue Genosse ist dafür ein weiterer Baustein. Sie, die seit vielen Jahren dabei sind, halten dieses Haus lebendig. Sie, die erst kürzlich Teil dieser Genossenschaft geworden sind, sorgen dafür, dass dieses Haus über viele Jahre lebendig bleibt.
Ihr Vertrauen
Zum Schluss bleibt uns, Ihnen ein paar Worte der Zuversicht mitzugeben: Eine unabhängige Zeitung entsteht nicht durch Algorithmen oder Märkte. Sie entsteht durch Menschen. Durch Sie.
Wir danken Ihnen für Ihr Vertrauen, für Ihre Geduld und für Ihren Mut, dieses besondere Stück Pressefreiheit zu tragen. Ihnen und Ihren Familien wünschen wir als Aufsichtsrat erholsame Feiertage – und einen Jahreswechsel, der Hoffnung nicht nur fordert, sondern erlaubt.
🐾 Astrid Deilmann, Jens Pohlmann, Tolgay Azman bilden den Aufsichtsrat der taz Genossenschaft.