Ruandische Milizen im Kongo: Kongos müde Krieger
Bahati Nsinganumwe, ein Hutu aus Ruanda, hat 15 Jahre bei der Rebellenmiliz im Kongo gekämpft. Nun will er in seine Heimat zurück. Doch was weiß er über Ruanda?
Zwischen April und Juli 1994 töteten in Ruanda die damalige Armee und radikale Hutu-Milizen über 800.000 Menschen, zumeist Tutsi. Die Tutsi-Rebellenbewegung RPF (Ruandische Patriotische Front) vertrieb schließlich die Täter dieses Völkermordes in den benachbarten Kongo (damals Zaire). Ruandische Militärinterventionen in den Jahren 1996 bis 2002 verhinderten, dass sie von dort aus Ruanda zurückeroberten. Tausende Hutu-Kämpfer haben seit 2003 ein UN-Programm zur freiwilligen Rückkehr aus dem Kongo nach Ruanda genutzt, aber ein harter Kern blieb im Kongo und konstituierte sich als FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas). Am 20. Januar 2009 begannen die Armeen Ruandas und Kongos eine gemeinsame Militäraktion gegen die FDLR, die am 25. Februar offiziell zu Ende ging. Im Rahmen dieser Militäraktion sind hunderte FDLR-Kämpfer nach Ruanda zurückgegangen. D.J.
Erschöpft und ausgezehrt hockt Bahati Nsinganumwe auf einer schimmligen Matratze. Es ist tropisch heiß im Zeltlager der UN in Goma, Ostkongo. Nsinganumwes Unterhose ist zerrissen, das T-Shirt hängt ihm in Fetzen vom Leib. Nur die Camouflage-Mütze verrät noch: Der 34-Jährige war ein Kämpfer. Er diente in Kongos größter und grausamster Rebellenmiliz: bei den Demokratischen Kräften zur Befreiung Ruandas (FDLR). Bis zum Vorabend; da hat er seine Uniform abgelegt, seine Waffe der UN übergeben.
"Ich bin müde", murmelt er und zeigt mit dem Finger nach Westen. Dort, im kongolesischen Dschungel, warten noch Kameraden. "Die wollen auch nach Hause", sagt er. Ist das der Anfang vom Ende der FDLR, deren Angehörige erst in Ruanda und später im Kongo für unsagbare Menschenrechtsverbrechen verantwortlich waren und sind?
Immerhin, es gibt Anzeichen. Im Januar und Februar führten ruandische und kongolesische Regierungstruppen eine sechswöchige gemeinsame Militäroffensive gegen die FDLR. In dieser Zeit haben sich 355 FDLR-Kämpfer der Monuc, der UN-Mission im Kongo, ergeben, dazu mehrere tausend Familienangehörige. Zum Vergleich: Im ganzen Jahr 2008 waren es nur 1.103, Frauen und Kinder eingerechnet.
Nsinganumwes Zuhause liegt nur wenige Stunden Fahrzeit von Goma entfernt: jenseits des Kivu-Sees in Ruanda. Doch es hat 15 Jahre gebraucht, dass er sich nun endlich auf den Heimweg machen kann. Nsinganumwe ist wie die meisten FDLR-Rebellen Hutu. Und wie viele andere Hutu floh auch er nach dem Genozid, den Ruandas Armee und Hutu-Milizen 1994 an der Tutsi-Minderheit verübten, in den Kongo - aus Furcht vor der Rache der Tutsi-Befreiungsarmee. In den überfüllten Flüchtlingslagern im Ostkongo drückte dem damals 20-jährigen Bauernjungen ein Offizier der einstigen Hutu-Armee ein Gewehr in die Hand. Nsinganumwe fühlte sich stark, er hatte eine Aufgabe: Er sollte die Hutu-Flüchtlinge beschützen. Seitdem diente Nsinganumwe in der Miliz, die heute FDLR heißt.
Nsinganumwe hat zwei Kriege und unzählige Schlachten im Kongo überlebt. Zweimal wurde er angeschossen. Stolz zeigt er seine Narben: einen Streifschuss am linken Oberarm, eine Kugel im Schenkel. Doch darüber reden will er nicht. "Der Krieg ist für mich vorbei", winkt er ab. Die Erklärung, wofür er kämpfte, ist simpel: "Wenn der Kommandeur sagt, wie sollen kämpfen, dann kämpfen wir", sagt Nsinganumwe und fügt schnell hinzu: "Sonst bringt er uns um."
Häuser plündern, Lastwagen überfallen, töten - "das ist für den Profit", zuckt er lässig mit den Schultern. Er zeigt keine Reue, er hat ja nur seinen Job gemacht. Zuletzt schob Nsinganumwe Dienst an einer Straßensperre. Er musste Steuern eintreiben. Die Kalaschnikow diente als Arbeitsgerät.
Mit Waffengewalt hat die FDLR in Kongos Kivu-Provinzen praktisch einen eigenen Staat im Staat geschaffen, dessen Territorium größer ist als Ruanda. Die Rebellen erlösen Geld aus dem Schmuggel mit Gold, Coltan und Diamanten. "Wir haben für den Kommandeur gearbeitet", sagt Nsinganumwe. Und dieser würde sein Einkommen verlieren, wenn die einfachen Soldaten nach Hause gingen. Deshalb, so scheint es, wurde ihnen über Jahre hinweg eingebläut, ihre Heimat Ruanda wäre Feindesland. Der Kommandeur behauptete, in Ruanda würden alle Hutu wegen des Genozids vor Tutsi-Richter gestellt. Und auch wenn Nsinganumwe immer wieder beteuert, nicht an dem Völkermord beteiligt gewesen zu sein, gibt er zu: Er hat Angst, zurückzukehren.
Warum sollte er das auch? Er weiß nicht einmal, ob seine Eltern noch leben oder ob die Lehmhütte noch steht, in der er aufgewachsen ist. Manchmal, wenn er heimlich im Kongo dem ruandischen Radio lauschte, überkamen ihn jedoch Zweifel. "Im Radio sagen sie immer, dass Hutu und Tutsi jetzt zusammenleben", sagt Nsinganumwe. Er wirkt unsicher.
Das Entwaffnungsprogramm für Ruandas Hutu-Milizionäre im Kongo, durchgeführt von der Monuc und finanziert von der Weltbank, setzt an diesen Zweifeln an. UN-Hubschrauber werfen Flugblätter über dem Dschungel ab. Neben einem Foto von traurigen Rebellen mit traurigen Kindern im Arm steht: "Ihr habt noch immer eine Wahl - die UN wartet auf die, die in Frieden leben wollen." Daneben finden sich Nummern einer 24-Stunden-Telefonhotline.
Einen solchen Zettel fand auch Nsinganumwe am Morgen seiner Flucht. Er klebte tropfnass in einem Busch am Rande des Maniok-Ackers. Sein Bataillon war in Pinga stationiert, einer Kleinstadt und FDLR-Basis tief im Dschungel Ostkongos. Dort hauste Nsinganumwe in einer kleinen Lehmhütte mit seiner 24-jährigen Frau. Die hübsche Ruanderin hatte er vor zwei Jahren in einem Flüchtlingslager kennengelernt. Sie wurde schwanger und brachte im vergangenen Jahr einen Sohn zur Welt - Nsinganumwes ganzen Stolz. Doch der Kleine erkrankte, dem jungen Vater wurde klar: Sie müssen den Dschungel verlassen, das Kind zu einem Arzt bringen. Das Flugblatt mit den Telefonnummern erscheint ihm als Exit-Option. In der Ferne fallen Schüsse, die Soldaten aus Ruanda rücken bedrohlich näher. Der FDLR-Kommandant brüllt Befehle. Seine Kameraden stieben in alle Himmelsrichtungen davon.
Kurzerhand läuft Nsinganumwe zu seiner Hütte. "Pack die Sachen", flüsterte er seiner Frau zu. Dann nimmt er das Baby auf den Arm, und gemeinsam schleichen sie durch das Unterholz davon. Auf einem Trampelpfad treffen sie einen kongolesischen Bauern. Dieser weiß: Im nächsten Dorf wartet ein UN-Hubschrauber.
"Wenn unser Kommandant uns gefunden hätte, dann wären wir jetzt tot", sagt Nsinganumwe. Er hat viele Kameraden, die bei der Flucht erwischt wurden, durch Folter sterben sehen.
Die FDLR ist für ihr Terrorregime nach innen berüchtigt. Das Schlüsselproblem, sagt der Weltbankexperte Harald Hinkel, ist die politische Führung - diese genießt ein angenehmes Dasein im Ausland. FDLR-Präsident Ignace Murwanashyaka und sein Stellvertreter Straton Musoni leben unbehelligt in Deutschland. "Diese uneinsichtigen Extremisten sind bereit, tausende ihrer Leute für ihre eigenen Interessen zu opfern", sagt Hinkel.
Die mittlere Führungsebene im Kongo scheint dies nun erkannt zu haben. Meist nachts meldeten sich in den letzten Wochen FDLR-Kommandanten bei der Monuc-Hotline, bereit, sich mit ihrem gesamten Bataillon zu ergeben. Ihr erklärtes Ziel: politische Opposition in Ruanda statt militärischer Kampf vom Kongo aus.
Für Nsinganumwe beginnt auf der schimmligen Matratze im Monuc-Zeltlager ein neues Leben. UN-Mitarbeiter verteilen frische Hemden, Hosen und Schuhe. Er schlüpft hinein, schaut verblüfft an sich herunter. Seine Frau quiekt erstaunt.
Unter der Plane des alten Viehtransporters ist es heiß. Es herrscht angespanntes Schweigen, als der Lkw den Schlagbaum an der Grenze nach Ruanda passiert. Niemand hat einen Reisepass. Im Innenhof der Immigrationsbehörde wird eine Liste mit den Namen verlesen. Dann darf Nsinganumwe sein Bündel schmutziger kongolesischer Geldscheine in neue ruandische Francs tauschen. Er begutachtet das Wasserzeichen und den glitzernden Silberstreifen. "Jetzt sind wir wieder Ruander", strahlt er über sein Guthaben, das umgerechnet 2 Euro beträgt.
Während der Busfahrt drückt sich Nsinganumwe die Nase an der staubigen Fensterscheibe platt. Nach 15 Jahren im kongolesischen Dschungel wirkt Ruanda mit seinen Teerstraßen, frisch gestrichenen Häusern, Stromtrassen und terrassierten Feldern wie ein modernes Wunderland. Er schaukelt sein Baby auf dem Schoß: "Guck, in der Apotheke können wir dir Medizin kaufen. Hier gibts frische Milch und dort Telefone", plappert er. Der junge Vater ist stolz, seinem Kind eine bessere Zukunft ermöglichen zu können. Er diskutiert mit seiner Frau, wie sie die umgerechnet 100 Dollar Startgeld, die sie im Rahmen der Reintegration erhalten, sinnvoll anlegen sollen. Ein Stück Land, Ziegen und Hühner? Außer Landwirtschaft und Krieg hat Nsinganumwe nie etwas gelernt.
Das soll sich nun ändern. Nach einer Stunde Fahrt erreichen die Milizionäre das Schulungszentrum der Entwaffnungs- und Reintegrationskommission in Mutobo, eine Gruppe Wellblechhütten inmitten grüner Felder außerhalb der ruandischen Kleinstadt Ruhengeri. Die Schlafsäle und Klassenräume bieten Platz für 350 Ex-FDLR-Rebellen. Seit wenigen Wochen sind fast alle Betten ständig belegt. Direktor Frank Musonera begrüßt die ehemaligen Kämpfer mit "Willkommen zu Hause". Er lächelt väterlich und erklärt den Unterrichtsplan der nächsten zehn Wochen: Wie funktionieren Wahlen? Wie bekommt man einen Kredit bei einer Bank? Wie viel kostet eine Krankenversicherung? Was sind Menschenrechte? Was bedeutet Genozid?
Musonera verteilt Notizbücher und Kugelschreiber. Es geht ein Raunen durch den Schlafsaal. Nsinganumwe versteckt beschämt sein Schreibzeug unter der Matratze. Lesen und schreiben hat er nie gelernt. Was eine Versicherung oder eine Bank ist, ist für ihn schwer vorstellbar. Und: Ein Leben in Frieden, das könne er sich gar nicht vorstellen, sagt er. Dabei ist das sein größter Traum: "Ein ganz normales Leben", murmelt er.
Es ist der erste Tag seit 15 Jahren, an dem Nsinganumwe keine Kalaschnikow mehr mit sich trägt. Ohne Waffe, ohne Uniform wirkt er unsicher. Er hockt auf einer Matratze, fügt Schnipsel einer zerrissenen Verpackung wie ein Puzzle zusammen. Stück für Stück wird das Bild eines CD-Spielers sichtbar. Nsinganumwe grinst: "Ich will eine Musikanlage." Da haut ihn seine Frau auf den Unterarm. Zuerst solle er Schulgeld für das Baby ansparen, tadelt sie. Fast schon eine ganz normale Familie.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Nachhaltige Elektronik
Ein blauer Engel für die faire Maus
James Bond
Schluss mit Empfindsamkeit und Selbstzweifeln!