WER LIEBE LEBT : Rost, Motten und Diebe
HAND AUFS HERZ Was zählt, ist, den Ort der Verheißung zu kennen. Er ist, alles in allem, hier auf Erden. Ist es jedoch das Geld, das einer bess’ren Welt im Wege steht?
Dieses unbestimmte „da“ macht eine passionierte Kulturkatholikin schon skeptisch. „… da wird auch dein Herz sein“, lautet das Motto des Kirchentags. Können wir uns noch aussuchen, wo dieses „da“ ist oder ist längst klar, wo unser Herz höher schlagen soll?
Richtig unbestimmt lässt uns das Matthäusevangelium, aus dem das Motto stammt, nicht zurück. In den vorigen Bibelversen wird empfohlen, unsere Schätze nicht auf Erden, sondern im Himmel zu sammeln, wo sie „weder Motten noch Rost fressen und da die Diebe nicht nachgraben noch stehlen“. Aber Hand aufs Herz: Einen solchen rost- und mottenfreien Ort ohne Diebe gibt es nicht. Es gibt aber das, was Romain Rolland das „ozeanische Gefühl“ nannte und Sigmund Freud etwas klinischer als primären Narzissmus ohne Grenze zwischen Ich und Außenwelt beschrieb.
Jeder kennt dieses ozeanische Gefühl. Doch dabei handelt es sich nicht nur um das Kribbeln im Bauch, was in Gedanken an Gott, Geld oder einen Menschen entsteht. Diese Empfindung kann sich auch dann einstellen, wenn es um Politik geht, wenn es um das aktive Gestalten des eigenen Lebens geht. Und das ist etwas, was sich gerade Linke eingestehen sollten. Denn so wenig, wie es diesen reinen Ort ohne Rost, Motten und Diebe gibt, so wenig gibt es gesellschaftliches Engagement aus rein rationalen Erwägungen. Wenn nicht Leidenschaft im Spiel wäre, würde doch niemand auf die Idee kommen, ein Leben lang für die Gerechtigkeit in dieser Welt zu kämpfen.
Ausgesucht wurde das Motto des Kirchentags, weil es die Anhäufung materieller Güter kritisiert und sich der Kirchentag den Schwerpunkt „Gott, Geld und Glück“ ausgesucht hat. Doch selbst wenn Geld allein nicht glücklich macht, Geld ausgeben macht es umso mehr. Honoré de Balzac, ein nicht gerade ungläubiger Katholik, hat in seiner literarischen Analyse der bürgerlichen Gesellschaft festgestellt, dass Liebe durchs Portemonnaie geht. Balzac beschrieb damit im 19. Jahrhundert, wie der Kapitalismus alle Verhältnisse zwischen Menschen in Geldbeziehungen verwandelt.
Diese Erkenntnis ist heute kein Geheimwissen marxistischer Lesekreise mehr. Doch deswegen zwischen Gott und Geld zu wählen, wäre falsch. Es gibt auch jenseits des Kapitalismus keine Beziehung zwischen Menschen, die nicht von Motten, Rost und Dieben gefährdet ist. Was Balzac erkannte, ist, wie sich Glück im Kapitalismus ausdrücken kann: Wer liebt, der zahlt.
■ Doris Akrap ist Redakteurin der taz und produziert die Kirchentaz