piwik no script img

Roman zum Bürgerkrieg im LibanonAus Kindern werden Kampfhunde

Rawi Hages Debüt "Als ob es kein Morgen gäbe" ist extrem dicht und spannend geschrieben. Er erzählt vom Bürgerkrieg der 80er-Jahre im Libanon.

Gedenken an die Toten des libanesischen Bürgerkriegs auf dem Märtyrerplatz in Beirut. Bild: dpa

Bassam und George sind Freunde seit Kindertagen. Sie leben in Beirut, im christlichen Osten der Stadt. Im Bürgerkrieg Anfang der Achtzigerjahre werden sie erwachsen oder das, was sie dafür halten. George, De Niro genannt, schließt sich der christlichen Miliz an, Bassam indes träumt lieber von Flucht und verdingt sich als Hafenarbeiter.

Rom heißt sein Sehnsuchtsort. Im Original heißt das Buch "De Niros Game" und gibt damit die Richtung vor. Der Film "Die durch die Hölle gehen" von Michael Cimino, mit Robert De Niro in einer der Hauptrollen, ist lockerer Referenzpunkt des Buches. Auch in "Als ob es kein Morgen gäbe" spielt "Russisches Roulette" Zufallsgenerator.

Der Roman gliedert sich - wie der Film - in drei etwa gleich lange Akte: Roma, Beirut und Paris übertitelt. Schnell geschnitten schreitet die Handlung voran, der Krieg ist auch trashig coole Kulisse, und manch ein Satz ist höchst leinwandtauglich. So warnt Bassam einmal: "Das Zeug ist Gift. Heute ist kein guter Tag zum Sterben…"

Natürlich schiebt sich auch der Film "Waltz with Bashir" in den Sinn. Ähnlich wie Ari Folman in seiner animierten Dokumentation über den ersten Libanonkrieg operiert auch der in Kanada lebende Libanese Rawi Hage mit Flashbacks, wenn er von den Massakern in den palästinensischen Flüchtlingslagern schreibt.

Ich-Erzähler des Debütromans ist Bassam, seine Freundschaft mit George steht im Zentrum. Zu Beginn sind sie vergnügungssüchtige Teenager mit zu langen Haaren, die sich im Beiruter Bombenhagel durchschlagen, kiffen, saufen, rauchen, den Mädchen nachstaunen und krumme Dinger drehen. Zwei Halbstarke, die nicht wissen, wohin mit all ihren Schwächen.

Bassam erzählt davon mit Teenagerpathos und Spaß an der Übertreibung: 10.000 Bomben fallen allenthalben auf die Stadt, wie überhaupt die Zahl 10.000 zur bestimmenden Größenordnung in seinem Leben wird. 10.000 Küsse verteilt er auf Ranas Körper, 10.000 Whiskeyflaschen schmuggelt er, 10.000 Schläge steckt er ein.

Die Zehntausend als Unfassbarkeit in Zahlen. Dabei erklärt Hage nichts, erläutert keine Hintergründe, analysiert den Bürgerkrieg nicht, sondern versucht vielmehr, ihn erfahrbar zu machen, indem er beschreibt, wie Krieg riecht, schmeckt und tönt.

Die Stärke des Buches liegt eindeutig im Atmosphärischen. Hage schreibt über den Hass sowie die Rachsucht und schildert Gräueltaten mit bestialischer Genauigkeit. Seine Sprache ist forciert, sie prescht voran, ist mal metapherngesättigt, dann wieder sehr lakonisch. Dabei gelingen ihm einprägsame Sätze, etwa wenn Bassam einen vollen Aschenbecher sieht, in dem sich Marlboro-Kippen mit eingedrückten Gesichtern und verbogenen Wirbelsäulen krümmen.

Die brutalen Folterszenen bleiben ebenso im Kopf wie das hinreißend verkommene Pärchen Monsieur Laurent und Bébé, das geradewegs aus einem Tarantino-Film spaziert zu sein scheint. Im letzten Teil des Romans hat es Bassam dann noch nicht nach Rom, aber zumindest nach Paris geschafft. Der Ton ändert sich, und nicht zufällig liest Bassam dort "Der Fremde" von Camus. Wie der Sonderling Meursault steht auch Bassam neben sich.

Hage präsentiert ihn als einen an Kopf, Körper und Seele Versehrten, der die Alpträume der Vergangenheit nicht abschütteln kann. Die Traumata breiten sich vielmehr in ihm aus wie eine Seuche, und er torkelt wie im Delirium durch Paris. Hage beschreibt das mit gespenstischem Furor. Sein Buch handelt in seinem Kern viel weniger vom Krieg als von den Folgen des Krieges. Es zeigt, wie aus Kindern Kampfhunde werden. Ein bemerkenswertes Debüt. Womöglich bald auch im Kino.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

1 Kommentar

 / 
  • G
    Gockeline

    Kinder werden Kampfhunde betiteln sie die Geschichte vom Libanon.

    Dies passt auch auf unsere Kinder zu die schon lange nicht mehr erzogen wurden,weil man den Eltern einredete alles mit viel Tolleranz einzugehen.

    Heute haben wir Kinder die kaum noch mit ihren Leben zurecht kommen.

    Ab 10 Jahren fängt der Sumpf mit Alkohol,Sex,Drogen,Mobbing+Schlägereien an.

    Schule keine Lust mehr.

    Kaum belastbar.

    Alles ablehen.

    Nie eine gesunde Erziehung bekommen.

    Kleine Rebellen die einmal nie Verantwortung tragen können.