Römisches Filmfestival sucht Vision: Volksfest geht der Mut aus
Zwischen hohem Anspruch und erdrückenden politischen Tatsachen: Das Internationale Filmfest von Rom zwingt die Veranstalter zu einigen symbolischen Drahtseilakten.
Es sagt sich so leicht: Drahtseilakt. Im Grunde kennt man ihn nur noch als überstrapazierte Metapher für politische Manöver. Von welch erhabener Schönheit jedoch die Sache selbst sein kann, das führt James Marsh in seiner Dokumentation "Man on Wire" vor. Darin rekonstruiert er die Nacht vom 6. auf den 7. August 1974, als der französische Hochseilartist Philippe Petit mit einer Gruppe Unterstützer sich aufmachte, ein Drahtseil zwischen die Türme des World Trade Centers in New York zu spannen.
Am frühen Morgen bestieg Petit das Seil und lief ganze achtmal hin und her. Er sei nicht gelaufen, er sei getanzt, sagt vorwurfsvoll einer der Polizisten, die damals auf die Türme eilten, ohne zu wissen, wie sie das illegale Tun stoppen sollten. Es war eine Aktion ohne Symbolik oder politische Bedeutung. Eben der pure Drahtseilakt.
Eher unfreiwillig dürften sich die Macher des Internationalen Filmfestivals von Rom, auf dem Marsh seinen Film präsentierte, als Beteiligte eines ganz und gar symbolischen Drahtseilaktes fühlen. In den drei Jahren seiner Existenz erlebte das Festival bereits den zweimaligen politischen Umbruch. Die diesjährige Ausgabe stand deshalb ganz im Zeichen der Frage, ob man in der einst anvisierten Höhe weitermacht oder auf den Boden der italienischen politischen Tatsachen geholt wird.
Konzipiert wurde das Festival zur vormaligen Berlusconi-Zeit. Roms damaliger linker Bürgermeister Walter Veltroni wollte damit nichts weniger als eine Bastion des alten Traums der linken Kulturhegemonie schaffen. Als es 2006 zum ersten Mal stattfand, war Berlusconi bereits abgewählt, und die Vision der Macher konnte sich ungehindert entfalten: "La festa" sollte eine populäre Veranstaltung sein, aber keine kommerzielle, ein Volksfest im besten Sinne. Die Liste der Stars, die anreisten, reichte von Martin Scorsese und Francis Ford Coppola bis zu Sean Connery und Sean Penn.
Sie alle ließen sich nicht nur am Roten Teppich feiern, sondern stellten sich den kundigen Fragen des Kurators Mario Sesti und den oft ehrfurchtsvollen des Publikums. Alle schienen davon etwas zu haben: Die Amerikaner bekannten sich zu ihrer großen Liebe zum italienischen Kino, und umgekehrt zeigte das italienische Publikum seine Begeisterung für das amerikanische Kino. Die internationalen Verleiher entdeckten Rom als ideale Startrampe für ihr Herbstprogramm und Bürgermeister Veltroni ließ sich als Kulturhegemon feiern. Die rechte Opposition warf ihm gar "Personenkult" vor.
Als diese Rechte in Gestalt von Gianni Alemanno nun in Rom die Macht übernahm, war abzusehen, dass das Festival in Schwierigkeiten geraten würde. Kaum gewählt, forderte Alemanno auch prompt die Neuausrichtung: Das Festival sollte verstärkt dem italienischen Film ein Podium bieten. Obwohl das Team unter neuer Direktion zunächst weitgehend dasselbe blieb, stockte man den Anteil der italienischen Filme vorsorglich in allen Sektionen auf. Mit Al Pacino, David Cornenberg, Olivier Assayas, Viggo Mortensen und Michale Cimino war der diesjährige Staranteil zwar nicht gerade gering, zeigte aber leider den Schönheitsfehler, dass die großen Namen fast alle ohne neuen Film anreisten.
Oliver Stones "W", so das Gerücht, sei aus Angst vor zu viel Bush-Kritik wieder ausgeladen worden - was die Festivalleitung allerdings bestreitet. Dass mit dem italienischen Beitrag "Il sangue dei vinti" ("Das Blut der Besiegten") ein Film ins Programm genommen wurde, dem der Ruf des Geschichtsrevisionismus vorauseilte, ließ die Neuausrichtung in vollends unangenehmen Licht erscheinen.
In der Tat ließ "Il sangue die vinti", der die von den italienischen Partisanen im und nach dem Zweiten Weltkrieg verursachten Schrecken darstellt, die Gemüter hochkochen. Die eigens anberaumte, hochkarätig besetzte Debatte unmittelbar nach dem Film wurde von einem angespannten Publikum noch mit leidenschaftlichen Pfiffen und Demonstrationsbeifall begleitet, doch bereits am nächsten Tag zeigte sich, dass der Film einer richtigen Kontroverse gar nicht wert war, vereinfacht er die komplizierte Geschichte doch nur wieder zu einem herkömmlichen TV-Melodram.
Etwas Ähnliches gilt im Übrigen für die beiden deutschen Filme, die sich in Rom kurioserweise begegneten: Der "Baader Meinhof Komplex" sah sich flankiert von einem "kleineren" Film über den deutschen Terrorismus, Connie Walters "Schattenwelt".
Eichingers Großproduktion wurde auch hier nüchtern als "Actionfilm" aufgenommen, dessen Naivität, wenn nicht Gedankenlosigkeit man bemängelte. "Schattenwelt" kam besser weg, schon wegen seines redlichen Versuchs, sich der "Opferseite" zu widmen. Doch auch Walters Film, in dem die Tochter eines Ermordeten sich in verdächtiger Weise einem Exterroristen nähert, krankt daran, sich zu sehr am Fernsehkrimimuster zu orientieren. Was fehlt, ist der Mut zum echten Drahtseilakt.
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