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Rodler stirbt bei Olympischen Spielen"Die Bahn ist zu schnell"

Noch bevor die Winterspiele offiziell begonnen haben, verunglückt der Georgier Kumaritaschwili bei Tempo 144 auf der Rodelbahn und stirbt. Ist der Tempowahn der Veranstalter schuld?

Der Schlitten raste ohne seinen Piloten weiter. Bild: ap

VANCOUVER taz | Es waren fürchterliche Bilder, die das kanadische Fernsehen übertrug. Der georgische Rodler Nodar Kumaritaschwili schien die Trainingsfahrt zunächst gut absolviert zu haben, doch dann geriet sein Schlitten in der letzten der 16 Kurven ins Schlingern. Der Pilot verlor die Kontrolle. Er wurde aus der Bahn katapultiert und prallte gegen einen Stahltäger der Bahnüberdachung.

Reglos blieb der 21-Jährige liegen. Rettungskräfte versuchten, sein Leben zu retten, mit dem Hubschrauber wurde er abtransportiert, aber am Feitagabend vermeldete das Internationale Olympische Komitee (IOC), dass der Georgier den Crash nicht überlebt hat. Es ist der erste Todesfall in der Geschichte der Winterspiele.

"Es ist ein sehr trauriger Tag", sagte IOC-Chef Jacques Rogge. "Es ist jetzt aber nicht die Zeit, um Ursachenforschung zu betreiben, sondern es die Zeit zu trauern." Der Präsident des Organisationskomitees, John Furlong, sagte: "Diese Nachricht hat uns das Herz gebrochen."

Die Bahn in Whistler ist die schnellste der Welt, sie weist das größte Gefälle aller 16 existierenden Eisrinnen auf. Vor den Spielen wurde mit derlei Daten geworben, auch mit dem Geschwindigkeitsrekord des Deutschen Felix Loch, der in der Spitze mit 154 Kilometern pro Stunde unlängst zu Tal gerast war.

Da schien noch alles okay: Nodar Kumaritaschwili weiter oben auf der Strecke. Bild: dpa

Für die Winterspiele waren Geschwindigkeiten von über 155 Stundenkilometern angekündigt worden, woraufhin selbst Weltverbands-Präsident Joseph Fendt mahnte: "Die Bahn ist zu schnell. Wir hatten sie für maximal 137 Stundenkilometer geplant. Aber sie ist fast 20 Stundenkilometer schneller. Wir sehen das als Planungsfehler."

Die Bahn hat das Ingenieurbüro Udo Gurgel (IBG), ansässig in Leipzig, entworfen. Gurgel hat auch die olympischen Bob- und Rodelbahnen von Nagano, Calgary, Salt Lake City, Lillehammer und Turin geplant. "Die Verbände wollten eine richtig schnelle Strecke", sagte er während der Bauphase. Sie haben eine schnelle Bahn bekommen. Mit allen Konsequenzen.

Schreckliche Bilder: Der tödliche Unfall des Georgiers. Bild: ap/ioc media broadcast

"Wir möchten den Organisatoren keinen Vorwurf machen", sagte der Sportchef des deutschen Rodelverbandes, Thomas Schwab. "Es war nicht absehbar, welche Kräfte an dieser Stelle wirken." Nach einer Sicherheitsbegehung sollte der Kurs wegen des Unfalls auch von Staatsanwaltwaltschaft und Polizei in Augenschein genommen werden. Der Georgier war an der Unglücksstelle mit Tempo 144 durch die Eisrinne gerast.

Nach dem Crash wurde an der Bahn die Musik abgeschaltet, es herrschte Stille, Zuschauer waren schockiert. Raimund Bethge, der Cheftrainer der deutschen Bob- und Skeletonfahrer, kritisierte hernach die Auslegung der Bahn: "Alle Fachleute, die von Anfang an mit der Bahn zu tun hatten, haben vor der hohen Geschwindigkeit gewarnt", sagte der Cheftrainer für Bob und Skeleton. Vor allem Piloten mit weniger Erfahrung und eingeschränkten Trainigsmöglichkeiten haben in Whistler Probleme.

Am Donnerstag war bereits die Rumänin Violeta Stramaturaru verunglückt. Sie verlor bei ihrem Sturz das Bewusstsein und musste mit Verdacht auf Gehirnerschütterung behandelt werden. Bei den Trainingsläufen gab es insgesamt ein Dutzend Stürze. Selbst Spitzenrodler mussten den Schlitten verlassen.

Topfavorit Armin Zöggeler aus Italien kam auf der Bahn zu Fall. Auch die Goldfavoritin im Rennen der Frauen, Tatjana Hüfner, stürzte hier im Vorjahr im Training. Niemand ist in dieser Rinne offenbar vor Stürzen gefeit, nicht mal die Könner.

Der Unfall passierte nur wenige Stunden vor Beginn der Eröffnungsfeier. Ein großes Sportfest sollte steigen, eine Party über 17 Tage. Sie ist nun getrübt.

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20 Kommentare

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  • R
    Rosinante

    Was noch fehlt; In dem Interview mit dem Planer der Bahn, dem Leipziger Ingenieur, sagte dieser, dass die Bahn "relativ" sicher wäre. Fährt er auch mit "relativ" sicheren Bremsen Auto?

  • O
    ole

    Die einzig sinnvollen Kommentare zu diesem tragischen Ereignis haben Georg Hackl und einige Rodler gegeben.

     

    @taz: Richtige Sportjournalisten mit der Fähigkeit zur sachgerechten Recherche werden sie wohl nicht mehr hervorbringen.

  • TF
    Thomas Fluhr

    Man stelle sich vor das Opfer wäre ein Sportler aus USA oder Deutschland gewesen. Die Kommentare wüsste ich gerne.

    Aber, the show must go on.

  • S
    Steffi

    Lest bitte das Interview mit Georg Hackl auf zeit.de

     

     

    Hackl: Ob er jetzt mit 154 oder 135 Stundenkilometer gegen diesen Pfeiler prallt, ist wurscht. Der ist mit 60 Stundenkilometern genauso tot.

  • OA
    o aus h

    Absolut geschmacklos und unnötig, dass taz.de den Unfall selbst als Bilderfolge zeigt. Kein Leserinteresse und keine journalistische Dokumentations-"pflicht" rechtfertigt, den Tod eines Menschen medial zur Schau zu stellen.

    Ich hoffe bloß, dass die Taz in der Olympia-Berichterstattung - nicht nur bei den Rodlern, auch beim Abfahrtsski etc., auf die Nennung von neuen Geschwindigkeitsrekorden verzichtet. Das wäre ein winziges Zeichen gegen die "Höher, schneller, weiter, lebensgefährlicher"-Entwicklung des Sports und der Medien.

  • T
    Thomas

    Der Artikel enthält leider einen Fehler. Kumaritaschwili war leider nicht der erste Tote bei den Winterspielen.

    1964 in Innsbruck verunglückten sowohl Ross Milne (Ski Alpin) und Kazimierz Kay-Skrzypeski (Rodler) ebenso wie Kumaritaschwili bei Trainingsläufen kurz vor Beginn der Spiele.

    Und 1992 starb Nicolas Bochatay während der Spiele im Rahmen des Demonstrationswettbewerbs für Geschwindigkeitsskifahren, als er im Training mit einer Pistenraupe kollidierte.

  • JG
    Jürgen Gojny

    Das olympische System ist so morbide, daß es seinen eigenen Untergang vermarktet!

  • W
    wespe

    Ja, so ähnlich sehe ich es auch: "Der Tempowahn der Veranstalter ist schuld!"

    Und es ist auch der Geschwindigkeitsrausch der "modernen" Menschen, sowie der gesuchte "Kick am Besonderen", der nicht nur bei Profisportlern zu finden ist, sondern bei vielen jungen Menschen, die ihre Adrenalinstösse in immer neuen Abenteuern suchen.

    Dies lässt sich in speziellen Fernsehsendungen und YouTube-Beiträgen beobachten.

    Vernunft ist nicht mehr gefragt.

  • P
    peter

    die fotos des sturzes müssen nicht sein!!!

    bitte entfernen, danke

  • D
    DenkSchlächter

    Ich liebe Sport. Ich liebe Sport so sehr, daß es mir wichtig ist, seine Schönheit, seine Dramatik und das gesunde Umfeld zu erhalten und zu fördern.

    Doch höher-schneller-weiter hat seine Grenzen. Schon seit Fertigstellung der Bahn wurde sie kritisiert – nichts Wesentliches ist geschehen. Ich bin gespannt, wer den A in der Hose hat, die Verantwortung für diesen dramatischen, tragischen und vorhersehbaren Unfall zu übernehmen.

    Es ist an der Zeit, trotz Millionengeschäftes, den Schutz der Athletinnen und Athleten wieder in den Vordergrund zu stellen.

    Mein tiefstes Mitgefühl gilt den Angehörigen von Nodar Kumaritaschwili, um den es mir unendlich leid tut. Sein Tod muß Mahnung an alle Beteiligten und das Publikum sein, die Grenzen der Vernunft nicht zu überdehnen.

  • S
    Schulz

    Bei rechnerischen und experimentellen Tests in der Phase vor der Herstellung und sogar in der Produktion muss es moeglich sein, Fehler zu korrigieren.

    Auch in der Trainingsphase vor Beginn der Wettspiele kann diese noch gesperrt werden,

    um mit Menschenleben verantwortlich umzugehen.

    Spiele sind kein Krieg,

    es sieht aber danach aus.

    Wieso sind die Traeger ohne ausreichenden Abstand

    gebaut, man kann auch ganz darauf verzichten.

    Schlechte Konstruktion..........

  • F
    Flo

    Zitat: "Ist der Tempowahn der von Veranstalter schuld?"

     

    Sind wir jetzt bei der Boulevardpresse?

  • T
    Tilman

    Ist es nötig hierzu Bilder zu bringen? Ich finde eigentlich nicht. Für mich steht dahinter die Frage: was ist der Wert dieser Nachricht? Gibt einen extremen, kuriosen Todesfall zu begaffen? Oder geht es um den tragischen Tod eines sehr besonderen Menschen? Oder geht es darum, dass möglicherweise fahrlässig bestehende Gefahren ignoriert wurden. Nur für den ersten Fall scheinen mir die Bilder passend, dem zweiten werden Sie nicht gerecht, für den dritten sind sie irrelevant. Weder die TAZ noch dieser Artikel stehen für Journalismus der ersten Art und somit empfinde ich die Bilder als störend.

  • V
    vic

    Höher! Schneller! Weiter!

    Das ist Olympia, ein Event um Geld mit High-Tec Hardware und Menschen, von denen übermenschliches erwartet wird.

    Dieser Unglücksfall steigert die Einschaltquoten beim Rodeln garantiert enorm.

  • W
    waldemar

    nicht einmal ein Kissen um eine Betonstütze, an der die Sportler mit 35m/s vorbeirauschen?

     

    Die haben ja nicht mehr alle Tassen im Schrank!

  • KB
    karl bold

    Null Schutz an den Säulen, aber volles Tempo. Das ist unverschämt unverantwortlich.

  • P
    Peter

    Der erste Todesfall bei olympischen Winterspielen (wird allgemein gemeldet)? Die grassierende Abschreiberitis und Recherchefaulheit der Journaille ist wirklich ein Graus! Ich habe ca. 3 Minuten gebraucht, um meine vage Erinnerung an die beiden Trainingstoten bei den Winterspielen 1964 in Innsbruck zu verifizieren!

  • D
    duke

    Es ist immer und überall das Gleiche:

     

    Alle Warnungen, Anzeichen und Kritik werden ignoriert, es muss erst jemand sterben damit sich etwas ändert.

  • H
    Herbert

    traurigerweise ist dies nicht, wie im artikel behauptet, der erste todesfall in der geschichte der winterspiele: der schweizer Nicolas Bochatay kollidierte beim speedskiing bei den olympischen winterspielen 92 mit nem pistenfahrzeug und verstarb

  • A
    Alex

    Finde es grenzwertig, dass hier so über diesen Unfall berichtet wird. Vor allem ist die Würde des Rodlers durch die Veröffentlichung der Bilder nicht unbedingt gewahrt. Dennoch ist die Diskussion über die Ursachen wichtig. Wäre der Unfall auf einer 20 km/h langsameren Strecke zu vermeiden gewesen? Vielleicht, da sich der Sportler dann noch in einem besser kontrollierbaren Bereich bewegt hätte.

     

    Wer kann garantieren, dass so etwas nicht noch einmal geschieht? Womöglich mit Millionen Live-Zuschauern während eines Entscheidungskampfes? Olympischer Wintersport ist oftmals eigentlich Extremsport, wir sind Bilder von Skispringern nur zu sehr gewöhnt und akzeptieren den Sport nur deswegen mehr als beispielsweise Bungeespringen.

     

    Sind die olympischen Spiele weiterhin tragbar, wenn trotz Werbeeinnahmen Unmengen von Geld verpulvert werden und nun nach vielen Dopingfällen tatsächlich der erste Todesfall eingetreten ist? Die Sportler sind zum Teil eines großen Marketing-Events verkommen, und das wird sich in Zukunft immer weniger verbergen lassen...