■ Rockstars schrieben sich ihre eigene Musikzeitschrift: Die Nummer mit den Stars
Berlin (taz) – Ein Solo auf dem Schreibinstrument war verlangt, und deutsche Musiker wie Lage, Lindenberg, Kunze und Maffay, aber auch internationale Kollegen wie David Bowie, Brian Eno und der allgegenwärtige Michael Stipe (R.E.M.) spielten mit. Sie erhielten die Gelegenheit, die Dezembernummer der Zeitschrift Musikexpress/Sounds selber zu texten. Die Redaktion überließ ihre Bühne den Stars und bekam als Gegenleistung Beiträge höchst unterschiedlicher Art und Qualität.
Man wollte gegen „Verleumdungen, Falschmeldungen und inkompetente Konzertkritiken“ vorgehen, doch keiner der Beteiligten unternahm einen wirklichen Seitenwechsel. Nur der Schlagersänger Matthias Reim dreht den Spieß um und kritisiert die Anglophilie deutscher Skribenten. Heinz Rudolf Kunze pflegt, wie so häufig, coram publico seinen guten Geschmack, vielleicht auch in der Hoffnung, daß von seinen kundigen Elogen auf Randy Newman, Ray Davies oder, in diesem Fall, Neil Young ein wenig auf den Urheber zurückfallen möge.
Viele der Teilzeitschreiber nutzen das Blatt als politisches Forum, mal trennscharf und unprätentiös (Maffay), mal diffus weltverbesserlich und schwülstig (Peter Garrett, Michael Stipe). Andere kennen offenbar nur ein Thema: sich selbst. Der musizierende Maler Walter Dahn bespricht drei Seiten lang die künstlerischen Arbeiten pinselschwingender Popstars und widmet sich dabei in peinlicher Ausführlichkeit dem eigenen, frisch veröffentlichten Produkt. Nicht nur läßt sein Text darauf schließen, daß Dahns Eltern versäumt haben, den kleinen Walter gegen Metaphern impfen zu lassen, ihm unterläuft auch noch ein grober Schnitzer, wenn er das legendäre „Awoopbobaloobobalopbamboom“ fahrlässig dem Verwurster Elvis zuschreibt. Little Richard hat die Originalversion herausgebrüllt, und der kleine schwule Afroamerikaner wußte genau, warum er – es war in den 50ern – delikate Sachverhalte lautmalerisch umschrieb.
Uneingeschränkt lesenswert sind die Beiträge von Neil Tennant, Neil Young und Brian Eno. Eno stellt bisherige Ordnungssysteme zur Bewertung von Kulturproduktion in Frage und lanciert eine neue „Relativitätstheorie“ zur sachdienlicheren Bewertung künstlerischer Ausdrucksformen. Auch wenn er abzuschweifen scheint, verliert sich Eno nie in akademischen Verstiegenheiten und behält Bodenhaftung, weil er das physische Prinzip des Rock 'n' Roll erkannt hat: „Rockmusik (...) ist eine Musik der Klangfarben – eine Musik, bei der Klang in einer Art und Weise körperlich erlebt wird, die bei keiner anderen Musikrichtung möglich ist.“ Darin weiß sich der Autor einig mit Neil Young, der seinerseits zünftig gegen die alles egalisierende Digitaltechnik wettert.
Ein weiteres Highlight lieferte der Ex-Journalist und heutige Pet Shop Boy Neil Tennant mit seiner erfrischenden Tirade wider den birnenweichen New-Age-Schmus, verbunden mit einem feurigen Plädoyer für die läuternde, progressive Kraft des Hasses. Sein klares Bekenntnis: „Ohne Haß wäre ich nicht das, was ich heute bin.“ Was er im folgenden durchaus schlüssig in Zusammenhang mit Gesellschaftspolitik und Popkultur zu bringen versteht.
Drei gute und ein paar amüsante Beiträge hat das publicity- trächtige Medienexperiment eingebracht, ferner ein bißchen Geld für die Nordhoff/Robbins-Stiftung, die mit Musiktherapie autistischen Kindern hilft und zu deren Gunsten die schreibenden Stars auf ihre Honorare verzichteten. Damit haben die Mucker ihre Weihnachtsbescherung aus- und angerichtet – und widmen sich künftig hoffentlich wieder ihrem Hauptberuf. Harald Keller
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