: Ritualsfetzen
Das eindringliche Sektendrama „Delphinsommmer“ (ARD, 20.15 Uhr) schildert einen Ausbruchsversuch
Die Lüge gegenüber sich selbst ist die wohl schwierigste und weitreichendste. Im Drama „Delphinsommer“ ist es der Glaube, der diese Lüge fordert. Die 16-jährige Nathalie (Anna Maria Mühe) ist in einer Familie aufgewachsen, die für die Sekte „Kirche des Herrn“ lebt. Sie glaubt an die heile Welt, die ihr die Gemeinschaft vorgibt, bis ihr die Widersprüche äußerst schmerzhaft bewusst werden.
Es ist kein besonders neues Thema, das Regisseur Jobst Christian Oetzmann da erst mit sanften, dann düsteren Bildern illustriert. Vielleicht aber ahnt der Film auch voraus, dass es wieder stärkere Bedeutung bekommt. „Tu dies, dann tust du das Richtige, und dafür wirst du belohnt. Das ist für viele eine sehr beruhigende Perspektive in unsicheren Zeiten“, meint Drehbuchautorin Regine Bielefeldt. Die erfundene Sekte im Film praktiziert Ritualsfetzen, die man von großen Varianten solcher Gemeinschaften kennt. Dabei läuft das Leben in der Gemeinschaft der „Kirche des Herrn“ so harmonisch ab, dass es auch Verständnis für die Sehnsucht nach dem vermeintlichen Glück provoziert. Doch es wird viel gelogen bei der „Kirche des Herrn“, und es geschieht viel Böses „im Namen des Herrn“.
Als Nathalie mit ihrer Familie nach Berlin zieht, fällt sie an der neuen Schule schnell auf. Kein Sportunterricht, kein Freund, keine zeitgenössische Jugendliteratur. Doch dann freundet sich der Teenager mit der gleichaltrigen Sibille aus ihrer Gemeinde an, die sich längst den Zwängen des Glauben widersetzt. Als Sibille ganz aussteigen und für eine Ausbildung ins Ausland fliehen will, kommt es zum Eklat.
An der Grenze des Selbstverständnisses der Glaubensgemeinschaft beginnen Nathalies Probleme, sagt Regisseur Oetzmann. „Hier hört plötzlich alles Liebevolle auf. Eine kategorische Härte und Entschlossenheit erstickt jede Toleranz.“ Zwar kommt das dann doch klischeehaft daher, wie sich das Teenagermädchen im Sportunterricht stark tanzt und plötzlich Widerworte findet. Und die Handlung des Films ist auch vorhersehbar. Worum anderes soll es auch gehen in einem Sektenfilm als um den Ausstiegsversuch eines Mitglieds? Aber er ist handwerklich geschickt gemacht. Und Hauptdarstellerin Mühe trägt die ruhigen Bilder überzeugend bis zum Schluss. JULIANE GRINGER