Ritterwürde: Heftige Proteste gegen Sir Rushdie
Brennende Flaggen, erzürnte Demonstranten: Weil die Queen Autor Rushdie zum Ritter schlagen will, eskaliert in islamischen Ländern der Protest.
DELHI taz In Salman Rushdies "Satanischen Versen" kommt ein Mann namens Salman vor, der beim Propheten Mahound als Schreibkraft angestellt ist. Er nimmt sich die Freiheit, einige Worte aus dessen Mund falsch wiederzugeben - und auf solche Blasphemie steht die Todesstrafe. Doch der Prophet lässt sich erweichen, und Salman kommt ungeschoren davon. Es war ein Szenario, das sich hoffentlich auch in der Wirklichkeit so abspielen würde, mag der gleichnamige Schöpfer des Schreiberlings Salman gedacht haben in den zehn Jahren, die er nach Chomeinis Todesurteil von 1988 auf der Flucht war. 1998 endlich zeitigten die diplomatischen Interventionen vieler Staaten Resultate. Der Iran distanzierte sich von der Fatwa, und die Reizfigur Rushdie konnte, sorgsam dosiert, wieder in die Öffentlichkeit entlassen werden. Sie bestand auch sogar den schweren Test der islamischen Radikalisierung in der Folge des 11. September und des Zusammenbruchs des Friedensprozesses in Palästina.
An der Figur des Schreibers hatte Salman Rushdie hellsichtig die Risiken gebündelt, auf die er sich einließ, als er den Propheten Mahound zu literarischem Leben erweckte. Nun erlaubt der Ritterschlag der englischen Königin - und Rushdies Eitelkeit - der Realität einen zweiten Anlauf, um die gnädige Fiktion zu überholen. In Iran, Pakistan und im indischen Kaschmir gehen Menschen auf die Straße. Die Regierungen in Pakistan und Iran bestellen die britischen Botschafter ein und lassen verlautbaren, die Ehrung für Rushdies sei eine "Provokation". "Dieser beleidigende und ungebührliche Akt der britischen Regierung ist ein offensichtliches Beispiel des Kampfs gegen den Islam", heißt es in Teheran. Der Vizepräsident des iranischen Parlaments nennt Rushdie einen "verabscheuungswürdigen Kadaver", der pakistanische Religionsminister macht vieldeutige Anspielungen, der Titel für Rushdie könne Suizidtäter auf neue Gedanken bringen, und im indischen Kaschmir erneuert das Sunniten-Oberhaupt Maulana Mufti Baschiruddin die Todesfatwa Chomeinis. Nicht nur Salman Rushdie erlebt das Déjà-vu einer Zeit, die 18 Jahre zurückliegt.
Die raschen und harschen Reaktionen aus der islamischen Welt zeigen, dass die jahrelange vergebliche Verfolgung keine Katharsis gebracht hat und dass die "Satanischen Verse" immer noch nachhallen. Es ist müßig, im gegenwärtigen Kulturkampfklima die Frage zu stellen, ob es denn tatsächlich nötig war, Rushdie den Adelstitel anzubieten (und ob es klug von ihm war, ihn anzunehmen) - es sei denn, man glaubt an eine späte und subtile Rache des britischen Establishments, das Rushdie vor 1988 mit der gleichen beißenden Kritik überzogen hatte, die er später dem Islam angedeihen ließ.
Dennoch ist in der hasserfüllten Rhetorik ein neuer Ton unüberhörbar. Nicht nur Rushdie wird angeklagt, sondern auch Großbritannien. Die britische Königin, diese "alte Ziege" (die iranische Tageszeitung Jamhuri Islami) kommt ebenso schlecht weg wie ihr neuer Vasall. Im indischen Lahore skandierten Protestierende am Dienstagabend "Tod für Großbritannien! Tod für Rushdie!", Fotos der Queen gingen in Flammen auf. Ein pakistanisches Provinzparlament forderte die Regierung zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen auf, und der bereits zitierte Parlamentsvize in Teheran warf Großbritannien vor, "in einer Traumwelt" zu leben, wenn es glaube, "immer noch eine Supermacht wie im 19. Jahrhundert" zu sein.
Alte antikoloniale Reflexe? Was bedeuten dann die Hitler-Porträts, die auf den pakistanischen Straßen auftauchen? Haben sich die Demonstranten, in Ermangelung einer positiven und vor allem einer hausgemachten antibritischen Reizfigur, in einem bizarren Gedankensprung jenen Mann vorgeheftet, der das Weltreich im letzten Jahrhundert wie kein Zweiter in existenzielle Bedrängnis gebracht hat? War es der verzweifelte Versuch, "den Hass auf jene zu zeigen, die Gotteslästerer ehren", wie sich einer der Demonstranten ausdrückte? Man muss nicht lange in die Geschichte zurückgehen, um zwischen Rushdie und Großbritannien neben der Adelsfarce noch etwas Verbindendes auszumachen. Es ist die Haltung zum Irak. Nicht nur Tony Blair, auch Salman Rushdie hatte die Invasion in den Irak gutgeheißen und lange an Bushs Demokratieprojekt für das Land geglaubt. Die Demonstranten in Lahore, Srinagar und Teheran haben dies nicht vergessen. Sie mögen wie finstere mittelalterliche Assassinen aussehen und es auch sein. Dank Internet und al-Dschasira sind sie aber auch über das, was in der heutigen Welt geschieht, auf dem Laufenden.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Jugendliche in Deutschland
Rechtssein zum Dazugehören
Jens Bisky über historische Vergleiche
Wie Weimar ist die Gegenwart?
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen
Denkwürdige Sicherheitskonferenz
Europa braucht jetzt Alternativen zu den USA
„Edgy sein“ im Wahlkampf
Wenn eine Wahl als Tanz am Abgrund verkauft wird