■ Rita Süssmuth sieht sich als Opfer einer Kampagne: Hohe Moral, tiefer Fall
Vor fünf Jahren kam heraus, daß ihr Mann eines ihrer Dienstautos auch privat nutzte. Man enthüllte, daß der Umzug ihrer Tochter in die Schweiz mit einem Gefährt aus dem Fuhrpark des Bundestags bewerkstelligt wurde. Kaum war dies öffentlich, klagte Rita Süssmuth bitterlich: Sie sei Opfer einer Kampagne – womit sie auch recht hatte. Aber es war, wie sich später herausstellte, gleichfalls der Ausruf eines Ertappten, der, um von eigener Schuld abzulenken, ein entschiedenes „Haltet den Dieb“ ausrief: Ihrem Mann wurde ein Bußgeld von 5.000 Mark aufgebrummt wegen unrechtmäßiger Nutzung des Umzugsgefährts.
Auch jetzt wähnt sich die Bundestagspräsidentin als Opfer. Und das nervt. Denn sie empfindet sich als Unschuld vom Lande. So fällt ihr stets eine Spur zu hoher Ton in moralischen Fragen („Wir brauchen mehr Transparenz“ etc.) besonders auf den Wecker. Nein, fest steht doch, daß sie in der Schweiz jeden Diensttermin wahrnahm, der zwischen Davos und Zürich zu besetzen war, um ihre Tochter zu sehen. Mehr noch: Offenbar forcierte sie – zum Beispiel von der Redaktion der Neuen Zürcher Zeitung – Einladungen, um dort dienstlich zu tun zu bekommen.
Sie hat nach heutigem Erkenntnisstand nichts Illegales gemacht. Doch es hat einen Hautgout, der um so stärker in die Nase weht, als Rita Süssmuth schließlich selbst immer so tut, als bekomme das Wort Anstand durch sie einen besonderen Glanz. Sichtbar wird statt dessen das Bild einer Frau, die immer, wenn es politisch hart auf hart kommt, nicht einsehen will, daß im politischen Geschäft eine härtere Gangart zählt. Wozu also die Klage, sie müßte so oft am Wochenende arbeiten und habe nur einen beschränkten Feierabend? Will sie zu ihren 25.000 Mark Monatsgage noch Überstundenzuschläge?
In dieser Beschwerde liegt eine gewisse Heuchelei, mindestens aber eine Portion Naivität. Und sie weiß das ja auch. Denn ohne stahlbewehrte Ellenbogen hätte sie ihre Karriere nicht geschafft; ohne Stehvermögen nicht vermocht, sich so lange gegen den Kanzler zu behaupten: Ihr Ehrgeiz war es, der sie dahin brachte, wo sie nun steht.
So soll sie sich nicht beklagen, wenn sie nun an ihren eigenen Kriterien scheitert. Nicht zuletzt sie ist mitverantwortlich für die Stimmung, nach der die Moral mehr zählt als die Politik. Nun wird sie für ihre Schnäppchenmentalität einstehen müssen. Wenn der Kanzler sie in Schutz nimmt und ihren Rücktritt verhindert, wird sie an politischem Gewicht gerade in der CDU verlieren. Jan Feddersen
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