Riester-Faktor ausgesetzt: Mehr Geld für Rentner und Arbeitslose
Die Bezüge von Hartz-IV-Empfängern und Rentnern sollen ab Juli erhöht werden. Kaufen können sie dann aber trotzdem nicht mehr. Der Grund: die gestiegenen Preise.
BERLIN dpa/taz Langzeitarbeitslose und Rentner bekommen ab Mitte des Jahres mehr Geld. Darauf haben sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Arbeitsminister Olaf Scholz (SPD) am Freitag geeinigt. Die Koalition reagiert damit auf die anhaltenden Preissteigerungen. Konkrete Zahlen gab es allerdings bislang nur für Rentner: um 1,1 Prozent werden die Altersbezüge zum 1. Juli erhöht. Bei einer Rentenanpassung muss aber auch eine Korrektur des Arbeitslosengelds II erfolgen. Der Hartz-IV-Regelsatz liegt derzeit bei 347 Euro monatlich.
Merkel und Scholz verständigten sich darauf, den sogenannten Riester-Faktor in der Rentenformel für zwei Jahre auszusetzen. Der "Riester-Faktor" führt zu einem jährlichen Abschlag von 0,6 Prozent. Hinzu kommt die jährlich übliche Steigerung der Rentenbezüge um 0,5 Prozent. Die Korrektur führe zu einer Mehrbelastung der Rentenkassen von jährlich 1,2 Milliarden Euro, durch die gute Finanzlage sei Mit der Gesetzeskorrektur, die bei den Rentenkassen zu einer Mehrbelastung von jährlich etwa 1,2 Milliarden Euro führt, will die Regierung offensichtlich weiteren Unmut bei den Ruheständlern dämpfen. Im Vorjahr lag das Rentenplus bei 0,54 Prozent, von 2004 bis 2006 gab es drei Rentennullrunden in Folge.
Grund zum Jubeln haben die rund 20 Millionen Rentner in Deutschland aber trotzdem nicht. Denn auch bei einer Erhöhung der Rente von einem Prozent haben sie weniger in der Tasche. Der Grund: Die Teuerungsrate von mehr als zwei Prozent ist höher als die Rentensteigerung, sodass am Ende sogar weniger Geld in der Haushaltskasse bleibt. Außerdem muss die ebenfalls am Freitag beschlossene Anhebung des Beitragssatzes zur Pflegeversicherung um ein viertel Prozent auch von den Rentnern bezahlt werden.
Der stellvertretende Regierungssprecher Thomas Steg sagte, "bei vielen Millionen Rentnern ist das Gefühl da, dass die geringfügigen Anpassung, die es etwa im vergangenen Jahr gegeben hat, bei weitem durch die Preissteigerung aufgefressen wird." Die Lohn- und Gehaltsentwicklung sei weniger positiv als erhofft und zugleich die Preissteigerung signifikant. In der Koalition sei immer diskutiert worden, ob nicht reagiert werden sollte wegen höherer Preise, höherer Beiträge zur Pflegeversicherung, der Entwicklung der Rentenkassen und des Ziels, dass alle Bevölkerungsgruppen am Aufschwung teilhaben sollen.
Eine höhere Rentensteigerung könne ohne Beitragserhöhungen und auch ohne höhere Steuerzuschüsse des Bundes finanziert werden, betonten Steg und das Finanzministerium. Die Rentenanpassung sei dank der finanziellen Lage der Rentenkassen und ihrer wieder höheren Reserven möglich. Der Sprecher des Finanzministeriums, Torsten Albig, sagte, am Steuerzuschuss zur Rente ändere sich nichts. Die Anpassung auch der Grundsicherung würden den Bundeshaushalt aber belasten. Eine Rentenanhebung um zusätzliche 0,6 Prozentpunkte würde mit rund 150 Millionen Euro zu Buche schlagen, hieß es.
Auf die Frage, warum die Anhebung auf den Tag genau zum fünften Jahrestag der umstrittenen Reform-"Agenda 2010" verkündet wurde, sagte Steg, der Grund sei vielmehr, dass erst am Freitagmorgen wichtige Zahlen des Statistischen Bundesamtes vorgelegt worden seien. Diese spielten eine Rolle bei der Rentenanpassung. "Ich habe jetzt keinen Hinweis darauf, dass es irgendwie Absprachen gegeben hat, das gerade heute an diesem 14. März zu machen", sagte Steg.
Der "Riester-Faktor" sorgt bei Rentenerhöhungen für einen Abschlag um 0,6 Prozentpunkte. Ohne gesetzliche Korrektur würde es zum 1. Juli wahrscheinlich nur eine Rentenerhöhung in der Größenordnung von 0,5 Prozent geben. Dies wäre ein Aufschlag wie im vergangenen Jahr. Steg zufolge ist diese Berechnungsformel kein Naturgesetz, sondern eine politisch beschlossene Formel. Es sei jederzeit möglich, eine politische Entscheidung zu ändern. Steg widersprach der Vermutung, dass künftig der Grundsatz "Rentenpolitik nach Kassenlage" gelte.
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