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Richter-Ausstellung in StadeWo gute Geister im Dickicht harren

Eigentlich wäre es eine Riesenchance: Werke des Zeitgenossen und Enfant Terrible Daniel Richter sowie dreier seiner Schüler zu sehen. Aber die Schau "Painters on the run" im Stader Kunsthaus fristet ein Mauerblümchendasein.

Nazim Ünal Yilmaz' Arbeit "Selfportrait of a gorilla" aus dem Jahr 2007. Bild: Kunsthaus Stade

Trotz Daniel Richter? Ja, trotz Daniel Richter. "Trotz des Namens Daniel Richters hält sich bisher der Zulauf von Besuchern in Grenzen", sagt Kulturpädagogin Jutta de Vries, die diese Führung durch die aktuelle Ausstellung "Painters on the run" im Kunsthaus Stade übernimmt. Und sie setzt hinzu: "Es ist immer schwierig mit einem englischsprachigen Titel - und wenn dann noch das Plakat aussieht, wie ein Fahndungsplakat …"

Was man für Fahndungsfotos halten könnte, sind die Portraits der Maler Kalu Obasi, Anne Cathrin Ulikowski, Nazim Ünal Yilmaz und eben Daniel Richter. Das also reicht, um das Publikum aus Stadt und Landkreis und Umgebung zu verschrecken? De Vries schaut auf die kleine Gruppe von knapp zehn Personen, die sich an diesem Sonntagnachmittag kurz vor 15 Uhr im Eingangsbereich des Kunsthauses versammelt hat und auf den Beginn ihrer Führung wartet: "Normalerweise machen wir am Sonntag zwei Führungen mit insgesamt 60 Besuchern", sagt sie. Bei den Ausstellungen zu Jörg Immendorf und erst recht zu der von August Macke sei das so gewesen. "Da sehen Sie mal wieder, dass die Leute das sehen wollen, was sie schon kennen", sagt sie noch.

Aber das soll jetzt niemand den Nachmittag vermiesen, schließlich hat Daniel Richter, der an der Akademie der Bildenden Künste in Wien eine Professur innehat, für die Stader Ausstellung drei seiner Studenten eingeladen, ihre Arbeiten gerade dem norddeutschen Publikum zu zeigen.

Warum die drei? Im schön gemachten und auch preiswerten Katalog zur Ausstellung ist dazu von Richter gewohnt hemdsärmelig zu lesen: "Ich bin da positiv diskriminierend vorgegangen: eine Frau, ein Schwarzer, ein Türke."

Das ist natürlich nur die halbe Wahrheit. Tatsächlich zeigen die Arbeiten seiner Schüler eine beeindruckende Souveränität, eine eigenständige Handschrift - sowohl im Technischen als auch im Thematischen. Das ist ohne Mühe zu erkennen, gerade im Vergleich mit Richters Bildern. Denn der hängt die Latte mutig niedrig und hat statt abgesicherter, neuer Werke eine Handvoll Bilder aus seiner Studiumszeit Mitte der 90er dazugehängt, als er an noch der Hamburger Hamburg Hochschule für bildende Künste in der Klasse von Werner Büttner war.

Letzteres sieht man seinem Frühwerk wahrlich an, so von Büttner inspiriert und manchmal auch nachgemalt wirkt es. Oder - um es mit Richter mit Blick auf seine Auserwählten zu sagen: "Was ich kann, können die schon lange."

Kalu Obasi etwa, in Österreich erst einmal untergekommener Asylbewerber aus Nigeria, erzählt in seinen großformatigen, sehr symbolbeladenen Werken immer wieder von den Schaffenskrisen des Malers, der er selbst sein könnte; der alle Mühe hat, ein Bild aus dem Weg zu räumen, mitten im Urwald, der überall sein könnte, während die guten Geister im Dickicht harren.

Nazim Ünal Yilmaz dürfte zunächst mit seiner kritischen Aufarbeitung der Geschichte seines Heimatlandes sowie der dort weiterhin unterdrückten Homosexualität manchen verstören - zugleich beherrscht er die klassische Formsprache der europäischen Moderne und mixt daraus wuchtige Ölbilder, in denen durchaus das Pathos seinen Platz findet - damit die Ironie umso wirksamer eingreifen und gegensteuern kann.

Anne Cathrin Ulikowski bietet dagegen verblüffend filigrane, manchmal wie entrückt zusammengesetzte Stadtlandschaften, in denen sich Auflösung und Konkretion die Waage halten. Dazu gesellen sich Paarporträts, die nach der Kraft ihrer Verbindung fragen - sowie kleinere, fast skizzenhafte Arbeiten, die vordergründig mit den Insignien des Modischen spielen. Und ganz nebenbei ist die Ausstellung im Rahmen der Möglichkeiten, die das pittoreske Fachwerkhaus mit seinen drei Stockwerken bietet, einfach gut gehängt.

Und wenn Jutta de Vries sich, noch etwas enttäuscht vom mangelnden Zuspruch der Stader, einen kurzen Ruck geben musste, die Führung zu starten, so ist sie schon nach spätestens zehn Minuten von bester Laune erfasst. Sie sagt mit Blick auf Yilmaz Bäume, wie sie dessen Parklandschaften bevölkern: "Schauen Sie sich die Rinde an! Diese wunderbaren Brauntöne! Dann kommt hier und da ein Spritzer Rot hinzu - das ist ganz ausgezeichnet!" Sie sagt voller Elan: "Wir dürfen nicht vergessen, das sind Absolventen und nicht Künstler, die schon jahrelang im Betrieb sind." Sie sagt ganz sachlich: "Alle drei können sehr gut mit der Farbe umgehen, und das haben sie natürlich von Daniel Richter gelernt." Und die Führung wird gewiss wieder weit länger dauern als die veranschlagte Stunde.

Müssten da nicht jede Menge Schüler tagsüber den Weg hierher finden, statt in der Schule zu versauern? Die eine oder andere Kunst-AG war schon da. Aber erst eine einzige reguläre Schulklasse samt Lehrkörper hat sich bisher blicken lassen, und das ist tatsächlich sonderbar. Denn wer auf die Idee kommen sollte, junge Menschen für aktuelle Malerei interessieren zu wollen, der sollte diese ins Kunsthaus am Stader Fleet schleppen. Schließlich bieten die Bilder der drei Absolventen besonders Menschen, die nicht kunstfest sind, jede Menge Anregungen und Hinweise, das gestaltete Gemalte und das, an was es einem im eigenen Leben erinnert, aufeinander zu beziehen und so erste Erfahrungen im Abgleich dieser beiden Sphären zu sammeln.

3.000 Besucher sollen bis Ausstellungsende Richter & Co gesehen haben, das ist bisher der Plan. "Die Zahl werden wir wohl auch erreichen", sagt de Vries noch. 3.000? Nur? Diese Zahl müsste doch an ein, zwei Wochenenden zu toppen sein. Es fährt ja die S-Bahn von Hamburg aus, die ist beheizt, hat große Fenster, nicht mal umsteigen muss man.

Und während man so durch die winterliche Landschaft schaukelt, sieht man bestimmt unterwegs ein paar Rehe, wie sie still auf den Feldern und Äckern stehen. Auch das ein Bild für sich, das eines Tages gewiss im Oeuvre des Nazim Ünal Yilmaz auftauchen wird, der es so hat mit beeindruckenden Naturkulissen, vor denen sich seine Menschen so sehr abmühen.

Bis 9.1.2011, Kunsthaus Stade

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2 Kommentare

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  • T
    ThomasR

    Zitat: "Es ist immer schwierig mit einem englischsprachigen Titel - und wenn dann noch das Plakat aussieht, wie ein Fahndungsplakat …"

     

    OK, wir sind uns alle einig: Kunst ist gut! Und: Ohne Publikum macht sie nicht so viel Sinn, wie mit!

     

    Weshalb der Artikel das geringe Publikumsinteresse beklagen muss, erfahren wir im o.g. Zitat. Das Problem ist einfach hausgemacht! Kuratoren neigen zu zwar künstlerisch-kreativ hochwertigen, aber unpopulären Titel. Und die Plakate werden "wie ein Fahndungsplakat" gestaltaltet. Und dann wird sich gewundert, dass keiner kommt.

     

    Hm.

     

    Vielleicht einfach mal einen prägnanteren Titel wählen, der auch ein bisschen was über den zu erwartenden Inhalt verrät? Vielleicht mal davon ausgehen, dass nicht jeder Richter und Co. kennt, aber dennoch ein potenzieller Besucher wäre? Vielleicht mal ein Plakat so gestalten, dass es Informationen und Ästhetik verbindet?

     

    Kulturbetrieb, wach auf! Du musst das Rad nicht neu erfinden. Lies' mal ein bisschen was über PR oder trau Dich an - Achtung bööööse - Kulturmarketing.

     

    Dann klappts auch mit den Besuchern.

  • C
    Christian

    schauen wir mal?