Retrospektive Die Popband Deutsch Amerikanische Freundschaft trägt das schwierige transatlantische Verhältnis schon im Namen: Amerika ist Kaugummi, Coca-Cola und Ronald Reagan
Auf die „Lindenstraße“ war stets Verlass. In der von Hans W. Geißendörfer erdachten Endlosserie wurde Woche für Woche in den immer gleichen Möbelhauskulissen die Welt erklärt – und wird sie vermutlich immer noch, ich bin Ende der Neunziger ausgestiegen. Erklärt wurde die Welt aus der Vogelperspektive einer im Kalten Krieg sozialisierten westdeutschen Gefühlslinken mit ausgeprägtem sozialpädagogischem Eros und treuherziger Gradlinigkeit, getragen von der Überzeugung, die Dinge des Lebens in 25 Minuten übersichtlich sortieren zu können. Im deutschen Fernsehen gab es keinen zuverlässigeren Seismografen dafür, wie so gedacht und gefühlt wird in sozialdemokratisch-gewerkschaftlich geprägten Traditionsmilieus. Milieus, denen Pop als läppisch gilt, wenn sie ihn nicht gleich verteufeln als Teil des amerikanisch gesteuerten kulturindustriellen Verblendungszusammenhangs.
So kommt eines Tages der Mussolini in die „Lindenstraße“: Anfang der Neunziger wird der pubertierende Klausi Beimer von seinem Knickerbocker-Altnazi-Großonkel Franz in einen Jungnazi verhext, Rostock, Mölln und so … Damit auch das pop-ahnungslose Publikum versteht, was mit dem armen Jungen los ist, dröhnt aus dem Kinderzimmer nicht Störkraft, nicht Landser oder wenigstens die Böhsen Onkelz. Stattdessen hört man: „Geh in die Knie / Und klatsch in die Hände / Beweg deine Hüften / Und tanz den Mussolini / Tanz den Mussolini / Dreh dich nach rechts / Und klatsch in die Hände / Und mach den Adolf Hitler / Tanz den Adolf Hitler.“
Der kleine Klausi nazi(n)fiziert sich zu einem damals zehn Jahre alten Electronic-Body-Music-Track von zwei kahlrasierten Düsseldorfer Lederschwulen (na ja, sie sehen zumindest so aus) mit Kunstbackground, gesungen vom Sohn eines spanischen Gastarbeiters. Hübsche Vorstellung, ein Naziaufmarsch zur Musik von Deutsch Amerikanischen Freundschaft. Dabei ist „Der Mussolini“ 1991 nicht mal mehr als Soundtrack zu Barebacking und Gangbang gefragt.
Im Ausland hat man die vermeintlichen Nazis besser verstanden. Die Deutsch Amerikanische Freundschaft (DAF) habe ein mehrdeutiges Spiel mit Nazi- und Sextabus getrieben und sich so über die „German Mediacracy“ lustig gemacht, so der Autor Chris Bohn, der seit Jahrzehnten dem britischen Publikum deutsche Popsonderwege enträtselt. Die deutsche Mediakratie in der „Lindenstraße“ gibt den Pawlow’schen Hund: Anstatt sich die Ambiguitäten von Sound, Look und Text, also der gesamten Performance von DAF und des „Mussolini“ zu betrachten und zu dem Schluss zu kommen, dass hier keine Faschisten am Werk sein können, schlägt sie reflexartig Nazialarm. Und re-enactet 15 Jahre danach als Farce, was in Großbritannien in den Siebzigern zu einer kleinen Tragödie getaugt hatte: als ein saturiertes linksliberales Post-Hippie-Establishment glaubte, sich die rebellische Punkjugend mit dem Generalverdacht „Alles Nazis!“ vom Leib halten zu können.
Der „Lindenstraße“-Linken aus der German Mediacracy war vermutlich schon der Bandname suspekt: Deutsch Amerikanische Freundschaft? Das war eine dieser magischen Formeln der Nachkriegs-BRD, mit denen man in den sechziger Jahren aufwächst, ohne sie wirklich zu begreifen. Eine Freundschaft, auf die die „Lindenstraße“-Linke allergisch reagiert, denn mit Amerika will sie nicht befreundet sein. Amerika ist Kaugummi, Coca-Cola und Ronald Reagan.
Ein gutes Vierteljahrhundert nach Klausi Beimers Mussolini-Trauma erscheint nun eine große Retrospektive: „Das ist DAF“, fünf LPs/CDs inklusive Reworks, darunter ein historischer Brückenschlag: Giorgio Moroder, der aus Tirol stammende Erfinder des Munich Sounds, verantwortlich für die bahnbrechenden Robot-Disco-(S)Exzesse einer Donna Summer („Uuuhhhh, love to love you baby“), produziert einen Remix von DAFs „Der Mussolini“.
Während dieser Schulterschluss mal wieder belegt, was nur Rockspießer bestreiten, dass nämlich (Post-)Punk und Disco Schwestern in Geist, Körper und Style sind, wird auch die popkulturelle Tektonik der deutschen Politik gründlich remixt. Junge Politiker wie der schwule CDU-Rechtsaußen Jens Spahn oder Christian „Slim Fit“ Lindner von der FDP performen pop-affin modern, derweil der Versuch der Schulz-SPD, mit betont biederem Retroflair die kulturelle Hegemonie der „Lindenstraße“-Linken wiederzubeleben, in der Sackgasse landet. Wie Schulz setzt auch die Linkspartei mit wohlfeilem Trump-Bashing wieder verstärkt auf antiamerikanische Affekte, die in der Ära des Poppräsidenten Obama weniger Beifall versprachen.
Auf derartige Affekte nach der von der Kanzlerin ausgerufenen Krise der deutsch-amerikanischen Freundschaft spekuliert Sahra Wagenknecht, wenn sie eine Annäherung an Putins Russland propagiert und suggeriert, dass es einen nationalen Sozialismus geben könnte ohne „Fremdarbeiter“ (Oskar Lafontaine), die deutschen Proleten die Jobs wegnähmen. Mit solchen Sehnsüchten spielt auch Slavoj Žižek, wenn er in seinen ewigen Tiraden wider die Political Correctness von „gewöhnlichen Menschen“ faselt, deren Sorgen die Linke aufgreifen müsse, oder von den „Nöten der einfachen Leute“, die angeblich nichts wissen wollen von „abgehobenen Gendertheorien“ (Wagenknecht).
Diese nostalgisch wie national gefärbte altlinke Sozialromantik spielt das Spiel der Rechten. Wenn sie die angebliche Fixierung einer modernen Linken auf Fragen der Identitätspolitik – sprich, mit Schröder, Gedöns – für das Trump-Desaster verantwortlich macht, betreibt sie das Comeback von Haupt- und Nebenwiderspruch. Besser: den Mussolini tanzen mit der Deutsch Amerikanischen Freundschaft. Klaus Walter
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