■ Rest-Jugoslawiens Präsident Ćosić wurde abgesetzt: Der letzte Schleier fällt
Mit der Abwahl des bisherigen Präsidenten Rest- Jugoslawiens, Dobrica Ćosić, ist im serbisch-montenegrinischen Staat eine dramatische Entscheidung getroffen worden. Denn mit dem „nationalen“ Schriftsteller hat das national-sozialistische Regime in Belgrad das letzte Aushängeschild der serbischen Intelligenzija fallengelassen, das bei manchen naiven Gemütern im Ausland noch über ein gewisses Renommee verfügte. Das Regime braucht ihn nicht mehr, den Erträumer einer großserbischen Nation, den Nationalisten, dem es gelang, sich im Ausland als „Gemäßigter“ zu präsentieren. In Wirklichkeit war Ćosić der Vordenker der „ethnischen Säuberungen“, der Entmischung der Völker auf dem Balkan. Er ist out, seitdem das Regime auf die Meinung der sogenannten internationalen Gemeinschaft, die ja nicht agieren wird, pfeifen kann. Und er fiel in Ungnade, weil er es offensichtlich wagte, die „Methoden“ der Eroberungen in Bosnien-Herzegowina in Zweifel zu ziehen.
Vielleicht ging dem in historischen Kategorien Denkenden nach all dem Schrecken, den serbische Soldaten über Bosnien-Herzegowina brachte, ein spätes Licht aufgegangen. Vielleicht ist ihm klargeworden, daß die Geister, die er rief, der serbischen Nation schaden werden. Und möglicherweise ist ihm auch klargeworden, daß die nun entfesselte Soldateska nun innenpolitisch zu einem großen Risiko geworden ist. Seine Versuche, die bosnischen Serben und Milošević selbst zu einem Einlenken in der Frage der Unterstützung des Vance-Owen-Plans zu bringen, mit Kroatien zu verhandeln, um den Krieg dort zu beenden, und sein Versuch, sogar Kontakte mit der Generalität der serbischen Armee zu knüpfen, werden jetzt als Begründung seines Sturzes genannt. Dies zeigt, daß er es in den letzten Monaten wagte, dem völlig entfesselten Tschetnikführer Šešelj entgegenzutreten und vielleicht sogar an der Machtbasis von Milošević zu rütteln. Und es verdeutlicht, daß das national-sozialistische Regime in Belgrad die letzten Hemmnisse beseitigen will, um die Eroberung Rest- Bosniens mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln durchzusetzen. In Goražde und Zepa sind dieser Tage viele Menschen ermordet worden – der Sturm auf Sarajevo, Tuzla und auch Zenica wird vorbereitet.
Erscheint der Sturz von Ćosić von außen dramatisch, so ist er dies von innen betrachtet nicht. Die Mehrheit der Bevölkerung hat sich bei den letzten Wahlen eindeutig hinter das Regime gestellt, und die lauen Proteste der Oppositionsparteien werden fast ungehört verhallen. Die Reihen der Administration und der Polizei sind fest geschlossen. Und die Aussichten, daß verantwortungsbewußte Armeeoffiziere der Nation im Sinne Ćosićs „dienen“ werden, sind nicht gerade gut. In einem Land, dessen Bewohner sich im Siegesrausch fühlen – ähnlich wie die Deutschen im Jahre 1941 –, sind Putschversuche aussichtslos. Lediglich der wachsende Unmut in Montenegro könnte in Belgrad noch für Irritationen sorgen. Doch nicht für mehr: an der Ausrichtung der serbischen Politik wird dies auch nichts ändern. Erich Rathfelder
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