Residenzpflicht: Asylbewerber bleiben resident
Reisefreiheit für Asylbewerber zwischen den Bundesländern sei nur durch Änderung von Bundesrecht möglich, meinen Berlins und Brandenburgs Innenminister.
Die angekündigte Aufhebung der Residenzpflicht für Asylbewerber in Berlin und in Brandenburg wird es vorerst nicht geben. Das sagte Geert Piorkowski, Sprecher von Brandenburgs Innenminister Rainer Speer (SPD), der taz.
"Wir sind uns mit Berlin in der rechtlichen Bewertung einig, dass es für die erlaubnisfreie Zulassung des vorübergehenden Aufenthalts im jeweiligen Nachbarland einer Änderung des Bundesrechts bedarf", so Piorkowski. Im Klartext heißt das: Ohne Änderung eines Bundesgesetzes brauchen Asylbewerber und geduldete Flüchtlinge aus Berlin und Brandenburg auch weiterhin eine Genehmigung der Ausländerbehörde, wenn sie im jeweils anderen Bundesland Freunde oder Verwandte besuchen, eine Klassenfahrt machen oder an einem Sportwettkampf teilnehmen wollen.
Eine Sprecherin von Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD) bestätigt das gegenüber der taz. "Die Antwort aus Brandenburg entspricht dem aktuellen Stand."
Zwar haben sich beide Landesregierungen gegenüber dem Bundesinnenministerium bereits für eine Änderung des Bundesgesetzes stark gemacht, doch es müsste ein Wunder geschehen, wenn dort eine Initiative zweier rot-roter Landesregierungen erfolgreich wäre. Gleichwohl erklärt Piorkowski: "Wir werden uns weiterhin gemeinsam mit Berlin für eine Gesetzesänderung einsetzen." Ein Rechtsgutachten, das der Brandenburger Flüchtlingsrat bei dem Anwalt Rolf Stahmann in Auftrag gegeben hatte, war im November vergangenen Jahres zu einem anderen Ergebnis gekommen: Dort hieß es, beide Landesregierungen könnten ohne Zustimmung des Bundes Asylbewerbern in ihren Bundesländern erlauben, sich ohne Besondere Erlaubnis im jeweils anderen Land aufzuhalten. Dazu bedürfe es lediglich einer Vereinbarung zwischen beiden Landesregierungen.
Dies sollte jedoch nur für Asylbewerber möglich sein. Für die größere Gruppe der geduldeten Flüchtlinge sah auch das Flüchtlingsratsgutachten keinen juristischen Spielraum. Sowohl der Brandenburger als auch der Berliner Flüchtlingsrat zeigten sich enttäuscht von der jetzigen Entscheidung der Landesregierungen. "Wir hätten eine politische Entscheidung erwartet und kein Abducken hinter Bundesrecht", sagt Jens-Uwe Thomas vom Berliner Flüchtlingsrat.
Sein Brandenburger Kollege Kay Wendel ergänzt: "Wir werden bei den Innenministerien Gesprächsbedarf anmelden, denn uns interessieren die juristischen Gründe hinter der Entscheidung. Unser juristischer Gutachter hat die gesamte wissenschaftliche Literatur und die Rechtsprechung durchgearbeitet und kam zu einem anderen Ergebnis."
Benedikt Lux von den Berliner Grünen kritisiert: "Wenn SPD und Linke es ernst meinen, sollen sie den Konflikt mit dem Bund suchen." Versöhnlicher gibt sich Marion Seelig von der Linkspartei Berlin: "Ich bedaure die Entscheidung für die Asylbewerber. Aber die Innenverwaltung war guten Willens und hat offensichtlich keinen juristischen Spielraum gesehen."
Verbesserungen soll es für Brandenburger Asylbewerber und geduldete Flüchtlinge dennoch geben. Bereits im Dezember hat das Innenministerium einen Erlass an die Ausländerbehörden erteilt, nach dem es Flüchtlingen erlaubt werden soll, Gottesdienste in ihrer Muttersprache in Berlin zu besuchen. An weiteren Erlassen werde gearbeitet, erklärte Piorkowski. "Wir wollen die Möglichkeiten weitgehend ausschöpfen, die das Land hier hat. Das betrifft auch großzügigere Besuchsregelungen für Berlin."
Trotz des guten Willens der Landesregierung üben viele den Landkreisen unterstellte Ausländerbehörden eine andere Praxis aus: So droht einem Kenianer aus Zossen eine Haftstrafe, weil er mehrfach ohne Erlaubnis nach Berlin gefahren war. In der Prignitz klagt eine Vietnamesin vor dem Verwaltungsgericht, um legal zum Vater ihres Neugeborenen nach Berlin fahren zu dürfen. In Rathenow hatte ein Vietnamese erst vom Oberverwaltungsgericht die Erlaubnis erstritten, zur Mutter seiner Zwillinge nach Berlin zu fahren. Berlin ist da bereits weiter: Anträge auf Verlassen des Bundeslandes werden seit Jahren großzügig positiv beschieden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!