Repression gegen Sufis im Iran: Tränengas gegen die Derwische
Mit großer Härte geht das Regime im Iran gegen die Sufis des Gonabadi-Ordens vor. Mehr als 200 Anhänger sind verurteilt worden.
Das berüchtigte Gefängnis – offiziell als „Stätte der Reue“ bezeichnet – wurde zur Inhaftierung von Schwerverbrechern eingerichtet. Die Derwische wurden in Haft genommen, weil sie gegen die Misshandlung ihrer inhaftierten Frauen protestiert hatten. Human Rights Watch bezeichnete die Repression gegen die Derwische im Iran am Mittwoch als „eine der größten Niederschlagungen einer religiösen Minderheit im vergangenen Jahrzehnt“.
Die Menschenrechtlerin Shirin Ebadi verurteilte das Vorgehen gegen die Derwische am Donnerstag in Berlin scharf. Die im Exil lebende Friedensnobelpreisträgerin warnte vor einer Unterwanderung des Ordens. Dessen religiöses Oberhaupt Hadsch Nour Ali Tabandeh, das unter Hausarrest steht, könne nur noch über regimetreue Mittelsmänner mit seinen Anhängern kommunizieren. „Dr. Tabandeh ist 91 Jahre alt“, sagte Ebadi. Das Regime werde versuchen, eine Person als Nachfolger durchzusetzen, die der Islamischen Republik hörig ist.
Der Gonabadi-Orden ist ein Zweig der jahrhundertealten Sufi-Bewegung im Iran. Die Derwische berufen sich auf den persischen Poeten Schah Nematollah Wali, der im 14. und 15. Jahrhundert lebte. Der Sufi-Meister empfahl seinen Anhängern, sich sozial zu engagieren statt ein Leben in Einsamkeit zu führen. Die Derwische betrachten sich als gläubige Muslime, lehnen aber das politische System des Irans, das republikanische Elemente mit der Herrschaft der Religionsgelehrten verbindet, ab. Sie fordern eine Trennung von Staat und Religion, was von der iranischen Führung als politisches Statement verstanden wird.
In der 1979 gegründeten Islamischen Republik wurden die Derwische zunächst geduldet. Seit Revolutionsführer Ali Chamenei sie vor etwa zehn Jahren als Abtrünnige bezeichnete, gelten sie jedoch als Feinde des Gottesstaats. Gebetshäuser sind in Brand gesteckt und Versammlungen verboten worden. In Büchern und Zeitungen versuchen ihre Gegner nachzuweisen, dass die Derwische – insbesondere die des Gonabadi-Ordens – den schiitischen Glauben ablehnen.
Tote nach Protesten
Die Auseinandersetzung mit den Derwischen eskalierte, als Sicherheitskräfte im Februar das Haus von Ordensleiter Tabandeh in Teheran umstellten. Hunderte Anhänger kamen aus allen Teilen des Landes, um ihren Führer zu schützen. Gewaltsame Auseinandersetzungen folgten.
Bei den Protesten setzte sich nach Angaben der Polizei ein Bus auf Seiten der Derwische in Bewegung und töte drei Sicherheitsbeamte. Dutzende Menschen wurden verletzt. Laut Staatsanwaltschaft wurden 285 Derwische in Haft genommen, Human Rights Watch geht von mehr als 300 aus. 208 Derwische wurden den Menschenrechtlern zufolge seit Mai verurteilt.
Einer der Derwische, Mohammad Sallas, wurde zum Tode verurteilt und am 18. Juni hingerichtet. Er hatte zunächst gestanden, den Bus gefahren zu haben. Später erklärte er jedoch, das Geständnis sei erzwungen gewesen.
Ein zweiter Derwisch, Mohammad Radschi, starb zwei Wochen nach seiner Festnahme im Gefängnis. Angehörige erklärten, er sei infolge von Folter gestorben. Auch andere Insassen berichteten von schwerer Folter in dem Gefängnis
Kritik von Geistlichen
Zuletzt verurteilte das Teheraner Revolutionsgericht am 15. August acht Mitglieder des Gonabadi-Ordens in Abwesenheit zu insgesamt 84 Jahren Gefängnis. Die Angeklagten erschienen nicht vor Gericht. Sie hatten gefordert, dass der Prozess öffentlich geführt werde und sie von Anwälten ihrer Wahl vertreten würden.
Ayatollah Hossein Ali Montazeri
Die Urteile waren selbst für iranische Verhältnisse ungewöhnlich hart. Zu langjährigen Gefängnisstrafen kamen Peitschenhiebe, Verbannung und das Verbot der Mitgliedschaft in politischen Parteien und sozialen Gemeinschaften hinzu.
Den Umgang mit den Derwischen, die in weiten Teilen der iranischen Bevölkerung Sympathie genießen, heißen nicht alle Geistlichen gut. Immer wieder melden sich kritische Stimmen zu Wort. Als ein Gebetshaus der Derwische in der heiligen Stadt Ghom in Brand gesteckt wurde, sagte Ayatollah Hossein Ali Montazeri, eine der populärsten religiösen Instanzen des Landes: „Für die Zerstörung gibt es keine legitime religiöse Begründung. Der Islam ist die Religion der Barmherzigkeit. Auch die Rechte religiöser Minderheiten werden im Islam geachtet.“ (Mitarbeit: Jannis Hagmann)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Rücktrittsforderungen gegen Lindner
Der FDP-Chef wünscht sich Disruption
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht