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Rent a Grobian

■ Über die Diffusionsprozesse in der politischen Klasse

Eine halbe Zeitungsseite hat der Springer–Verlag darauf verwandt, sich beredt wie geschwätzig vom Ruch des konspirativen Verschwörerzirkels zu befreien, seine Hände in Unschuld zu waschen: Die Ausleihe von Sudel–Reiner an Uwe Barschel sei nichts anderes als ein ganz normaler Vorgang gewesen, den man sich eingestandenermaßen was habe kosten lassen. Frei nach dem Motto, nie waren Pfeifen so wertvoll wie heute. Ein Teil der in seriösen Kommentaren und Feuilletons tobenden Verwirrung und Empörung über den Verfall von Anstand und Sitte rührt daher. Mal ist Pfeiffer in ein und demselben Blatt ein Schurke, mal ein Zeuge, dessen Aussagen nicht zu widerlegen sind. Daß er der schützenden Hände des Springer–Vorstandsvorsitzenden Tamm gewiß sein konnte, macht ihn, ja, wen eigentlich? - erst Recht zum bösen Buben oder ehrlichen Demokraten. Längst sind die Grenzen zwischen der vierten und der ersten Gewalt so durchlässig wie ein Sieb. Promiskuität herrscht unter den Chefetagen der Presse und den einschlägigen Regierungszentralen. Die Zeit leiht sich einen Helmut Schmidt, Kohl lieh sich von Springer einen Boenisch, Gerd Bacher, früher mal ORF–Intendant, berät den Kanzler genauso wie den Springer–Besitzer Leo Kirch und so fort. Nur das Verlagshaus Burda leistet sich im CDU–Politiker Todenhöfer den teuersten Lehrling der Republik. Was, wenn Regierungssprecher Ost längst der gesuchte Werner Mauss wäre? Nichts gegen Mobilität und Flexibilität, aber alles gegen Pfründenwirtschaft und Ämterschacher. Auch dies zeigt Waterkantgate: die lausige (Gedanken)Armut der politischen Klasse in der Bundesrepublik. Das Personal ist so dürftig wie das politische Inventar. Die Folgen können tödlich sein. Benedict Maria Mülder

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