Relativität der Chance

■ Bundesamt für Zivildienst droht jungem Hamburger Schauspieler die Karriere zu versauen Von Silke Mertins

Daß deutsche Behörden zuweilen jenseits des gesunden Menschenverstandes agieren, war dem anerkannten Flüchling aus Afghanistan, Samadzada Zabi-Uhlla, bekannt. Aber daß er seine Karriere als Schauspieler aufs Spiel setzen würde, damit hatte der heute 25jährige nicht gerechnet, als er sich vor eineinhalb Jahren einbürgern ließ.

Der erste Schlag folgte dem noch druckfrischen deutschen Paß auf dem Fuße: Während andere deutsche Jungs schon mit knapp über 20 Jahren häufig nicht mal mehr gemustert werden, zog man den eben Eingebürgerten sofort nach Beendigung seiner Schauspielausbildung ein. „Pech gehabt“, sagte man ihm beim Bundesamt für Zivildienst. Mit diesem Pech konnte Zabi-Uhlla noch leben und arbeitet zur Zeit auf einer Hamburger Sozialstation.

Doch jetzt „fehlen mir die Worte“. Die Konzertdirektion Landgraf hatte dem jungen Schauspieler für drei Monate in Wien die Rolle des Santiago im Stück „Eine Frage der Ehre“ von Aron Suchin angeboten – sein erstes Engagement.

Doch aus seinem „Traumjob“ wird wahrscheinlich nichts werden. Denn obwohl die Sozialstation damit einverstanden wäre, daß Zabi-Uhlla pausiert und die drei Monate später nachholt, will das Amt für Zivildienst den Sonderurlaub nicht genehmigen. Der zuständige Sachbearbeiter Streicher kann nämlich „eine einmalige berufliche Chance“ bei dem jungen Schauspieler nicht erkennen. Einem Antrag könne nur dann stattgegeben werden, wenn wegen persönlicher, beruflicher oder wirtschaftlicher Gründe eine besondere Härte vorläge. Und die sei hier wohl nicht gegeben, weil Zabi-Uhlla auch „nach Ableistung des Zivildienstes ein vergleichbares Engagement erhalten“ könne, glaubt der des Bühnenwesens unkundige Herr Streicher. „Die legen mir Steine in den Weg“, sagt Zabi-Uhlla einigermaßen verzeifelt. Daß er die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen hat, „bereue ich allmählich“.

Für „relativ selten“ hält auch der Kriegsdienstverweigerungs-Beauf- tragte und GALier Horst Görner, daß Zabi-Uhlla überhaupt eingezogen wurde. Im Prinzip gelte, daß „Jüngere den Älteren vorgezogen“ würden.

Auch bei Sonderurlaub „kommt es ganz darauf an, an wen man gerät“, weiß Görner aus Erfahrung. „Eine einmalige Chance muß gewährt werden.“ Aber die Einmaligkeit eines Angebots sei ja leider relativ, und „meistens weiß man es erst hinterher“. Korrekter wäre nach Görners Ansicht die Formulierung „eine seltene Chance“. Und die liegt bei dem jungen Schauspieler und seinem Wiener Santiago-Engagement ganz sicher vor. Aber in deutschen Beamtenstuben auf Kunstverstand zu stoßen, ist eben reine Glückssache.