zwischen den rillen
: Reif und schön: Coldplay und Komëit

Der innere Bezirk

Es ist immer wieder eine schöne Geschichte. Lernen sich vier Jungs Anfang zwanzig an der Uni in London kennen, stellen dort fest, dass sie alle die Musik von Radiohead und den Flaming Lips mögen, gründen selbst eine Band. Diese nennen sie Coldplay, das klingt entschlossen und gut. Sie fangen an zu üben, finanzieren sich erste Tonträger, bekommen einen Vertrag. Dann veröffentlichen sie eine Single, die „Shiver“ heißt, Zeilen wie „So, I look in your direction, you pay me no attention“ enthält, von vergeblicher Liebe handelt und ganz England in Verzückung versetzt. Alles weitere ergibt sich wie von selbst: Noch eine Single, eine NME-Titelgeschichte, das Album, und fertig ist die Band der Stunde, des Jahres etc.

Nun mögen skeptische Menschen einwenden, dass genau solche Geschichten jede Woche auf den britischen Inseln erzählt werden. Doch an Coldplay ist mehr dran als an Bands mit vergleichbaren Lebensläufen. Nicht nur, weil die Band um Sänger und Songwriter Chris Martin bieder wirkt und ohne Pop-Masterplan auskommt: keine Inszenierung, keine Drogen, kein Punk, kein Dead, kein Glamour, kein Nichts. Sondern vor allem, weil bei Coldplay nur die Musik zählt, und die Songs ihres Debüts „Parachutes“ klingen, als sei die Band nicht erst seit kurzer Zeit, sondern seit Jahren dabei: reif und schön. Großes Kino in drei, vier Minuten. Keine Spur von Nervosität, davon, die Welt aus den Angeln heben zu wollen: „Don’t panic“ heißt der Opener des Albums und sein Refrain: „We live in a beautiful world“. Die Grundstimmung des Albums ist zwar eine traurige, aber aus jedem Gitarrenriff, jedem Pianolauf und jeder Zeile erklingen Hoffnung und Zuversicht. Coldplay sind melancholisch, aber aus Passion, und dabei ohne jedes falsche Pathos. „Don’t panic“ gibt das Niveau von „Parachutes“ vor, und wo andere Bands mit so einem Auftakt spätestens beim dritten Song einbrechen, legen Coldplay erst nach und lassen einen berückenden, von Chris Martin mit viel Gefühl gesungenen Song auf den nächsten folgen. Verglichen werden sie auf den Inseln gern mit besagten Radiohead oder The Verve, was ehrenvoll ist, aber gemein. Besser passen Travis, die seinerzeit ebenfalls ohne Trouble ein wunderschönes Album herausbrachten. Es geht also auch ohne großen Rock’n’Roll-Schwindel, selbst Popmusik für die ganze Familie hat ihren Charme, selbst Reihenhausnormalität hat seine Qualitäten: „Everything’s not lost“ eben (Titel des Schlusssongs von „Parachutes“).

Wäre die Band mit dem seltsamen Namen Komëit aus Großbritannien, hätte sie natürlich auch schon ihre zwei, drei Coverstorys gehabt. Chris Flor und Julia Kleemann aber, die beiden Köpfe der Band, stammen aus Berlin, und ihr Ruhm beschränkte sich bislang auf Berliner Indiekreise und die jeweils in anderen größeren Städten der Republik angeschlossenen Szenen. Auch nicht schlecht, um es mit Hermann Lenz zu sagen, kann aber noch werden. Denn was Komëit machen, ist jenseits jeglicher Lautsprecherei, ist mutig, weil privat und lange Zeit verpönt. Komëit pflegen mit ihrer Musik und ihrem ersten selbst betitelten Album eine Art neue Innerlichkeit, einen neuen Wimpismus, gegen den der von englischem Bands aus den 80er-Jahren wie Felt oder den Weather Prophets wie reine Kraftmeierei wirkt: „Zartcore“ nennen sie ihren Sound, Musik, die so leise und intim ist, dass sie eigentlich gar nichts ist für die Welt draußen. Musik für stille Häuser und verlassene Zimmer. Eine Live-Show stellt da schon einen Widerspruch dar, was aber Flor und Kleemann nicht anficht. Sitzend bestreiten sie ihre Auftritte. Flor an Gitarre und Computer, Kleemann an der Orgel – so singen sie zweistimmig ihre Lieder und haben dabei so viel Kraft und Intensität, dass es auch bei zwei-, dreihundert Leuten mucksmäuschenstill ist und selbst die Beck’s-Bier-Lümmel an der Theke das Reden sein lassen.

Die Songs bei ihrem Debüt sind die Entsprechung solcher Auftritte: Demonstrativ zerbrechlich und auch ein wenig entrückt, aber souverän – ausrutschen oder gar abstürzen tun Komëit nicht, sie verbreiten mit ihrer Musik vielmehr wachsende Ungestörtheiten. Die Show findet hier in den inneren Bezirken statt. Doch was von innen strahlt, leuchtet am besten.

GERRIT BARTELS

Coldplay: „Parachutes“ (Parlaphone/EMI); Komëit: dito (Monika/Indigo)