Regisseurin Roesler über das Stück "Soldaten": "Männer unter sich"
Die Göttinger Theatergruppe Werkgruppe 2 und das Deutsche Theater sind auf der Suche nach einem "zeitgemäßen Soldatenbild". Ein Gespräch mit Julia Roesler, die das Stück "Soldaten" mit entwickelt hat.
taz: Frau Roesler, warum haben Sie sich im gleichnamigen Projekt mit "Soldaten" beschäftigt?
Julia Roesler: Ausgangspunkt unserer Überlegungen war die Suche nach einem zeitgemäßen Soldatenbild. Dafür haben wir Interviews mit deutschen Bundeswehrsoldaten mit Einsatzerfahrung geführt und zunächst die ganz einfachen Fragen gestellt: "Warum bist du Soldat geworden?", "Wie ist das im Einsatz?", "Und wie hat das dein Leben geprägt?". Die Offenheit der Soldaten war erstaunlich. Am Ende waren häufig wir diejenigen, die Stop gesagt haben, weil wir genug an den geschilderten Erlebnissen zu knapsen hatten. Das gesammelte Material haben wir zu einer Textfassung verdichtet und proben gerade mit Schauspielern und Musikern die Umsetzung.
Ergibt sich die Anzahl der dann zu sehenden Schauspieler aus dem Text?
Wir haben das Interviewmaterial so verdichtet, dass die fünf Schauspieler jeweils nur einen Soldaten spielen. Es war uns wichtig, den einzelnen Figuren genügend Raum zu geben, damit die Zuschauer die Soldatenbiografien in ihrer Vielschichtigkeit erfahren können.
Keine Schauspielerinnen?
Wir haben uns bewusst dafür entschieden, auf der Bühne nur mit Männern zu arbeiten. Das liegt zum einen daran, dass wir bis auf eine Ausnahme lediglich Gespräche mit männlichen Soldaten geführt haben, aber auch an der sehr bühnenwirksamen Kraft, die entsteht, wenn Männer unter sich sind. Hinter der Bühne arbeiten im übrigen nur Frauen mit.
Sie sprechen von Musikern - wie viele und welche Rolle sollen sie spielen?
Durch die enge Zusammenarbeit mit der Sängerin und Komponistin Insa Rudolph spielt Musik bei all unseren Inszenierungen eine wichtige Rolle. Bereits in der Konzeptionsphase haben wir auch nach einem musikalischen Zugriff zum Thema Krieg gesucht. Bei diesem Projekt werden ein Bassist und drei Knabenchorsänger mit auf der Bühne sein. Die Jungs zeigen in der Inszenierung die ungebrochene kindliche Faszination für das Heroische, zudem liefern ihre klaren Stimmen einen wirkungsvollen Kontrast zur rauen Klangwelt des Krieges. Neben dem Gesang wird der gesamte Raum zum Klangkörper.
Die Göttinger Saline Luisenhall hat sich bei Ihrer Produktion "Friedland" bewährt - damals kam sich der Zuschauer vor, als suche er im Lager Friedland Zuflucht, müsse dort einchecken und leben. Das hat eingeleuchtet. Warum diese Thema "Soldaten" am selben Spielort?
JULIA ROESLER 33, ist Kulturwissenschaftlerin und Regisseurin und hat das Göttinger freie Theater Werkgruppe 2 mit gegründe.
Die Saline Luisenhall ist die feste Spielstätte unseres freien Ensembles Werkgruppe 2. Die Herausforderung für unsere Bühnenbildnerin Nicola Schmid ist es, diesem Raum bei jedem Projekt immer wieder einen neuen Sinn zu verleihen. Für die "Soldaten" experimentieren wir mit Lagerfeueratmosphäre und Nähe. Das funktioniert in der Saline allemal besser, als wenn sich die Zuschauer bequem im roten Samtsessel zurücklehnen können.
Mussten die Soldaten bei der Bundeswehr nachfragen, ob sie mit Ihnen sprechen dürfen?
Teilweise haben die Soldaten vorab ihre Vorgesetzten um Erlaubnis gebeten und sie erhalten. Teilweise wurde die Gesprächserlaubnis verwehrt, oder mögliche negative Konsequenzen wurden aufgezeigt. Grundsätzlich gibt es nach wie vor viele Dinge, über die Soldaten nicht sprechen dürfen. Häufig hängt es von der Persönlichkeitsstruktur ab, wie viel die Soldaten dennoch erzählen. Und dann gibt es die, die nichts mehr zu verlieren haben.
Hat sich Ihr eigenes Soldatenbild verändert?
Insgesamt waren wir immer wieder von der Brutalität der geschilderten Erlebnisse schockiert und gleichzeitig betroffen von der Erkenntnis, wie gebrochen viele Soldaten aus diesen Einsätzen zurückkehren. Persönlich am meisten verstört hat mich der geringe Wert eines feindlichen Menschenlebens - und das Gefühl von Euphorie im Zusammenhang mit dem Töten.
Sie haben mit den Soldaten, die sich auf Ihren Aufruf gemeldet haben, Interviews geführt und aufgezeichnet. Dann mussten Sie das Textmaterial bewerten: rausschmeißen oder drin lassen… Wie genau läuft dieser Prozess ab?
Grundsätzlich hatten wir bei der Recherche zu diesem Stück das große Glück, dass wir viele Soldaten mit extremen Erlebnissen befragen und dadurch auch viel Material auswerten konnten. Es gab Gespräche, da habe ich mir gewünscht, dass wir einen Soloabend konzipiert hätten, weil die Geschichten so komplex waren, dass sie einen ganzen Abend gefüllt hätten. Bei diesen Interviews fiel uns das Komprimieren sehr schwer, jeder Aspekt hätte die Bühnenfigur noch plastischer und vielfach auch tragischer gemacht.
Worüber wird da eigentlich gesprochen?
Neben den Schilderungen einzelner prägender Kriegserlebnisse gab es bestimmte Themen wie Afghanistans Zukunft, traumatisierter Alltag oder der Umgang mit dem Töten, die wir unbedingt aus der Perspektive der Soldaten verhandeln wollten.
Diese Vorarbeiten sind eigentlich Aufgaben des Autors und der Dramaturgin, Anna Gerhards. Wie arbeiten Sie zusammen?
Man muss bedenken, dass dieses Projekt ja als Koproduktion zwischen dem Deutschen Theater in Göttingen und unserem freien Ensemble Werkgruppe 2 entsteht. Bei uns Freien werden die Grenzlinien zwischen den Verantwortlichkeiten häufig nicht ganz so scharf gezogen. In diesem Fall arbeite ich eben als Regisseurin und gemeinsam mit meiner freien Kollegin Isabelle Stolzenburg auch als Autorin.
Was heißt das genau?
In der Praxis führt das häufig dazu, dass sich szenische Ideen beim Schreiben entwickeln und ungekehrt beim Proben auch immer wieder neue Ideen für die Strukturierung des Textes ergeben. Das ist häufig sehr inspirierend, birgt jedoch auch die Gefahr, dass man bei szenischen Schwierigkeiten nicht nur die spielerische Idee, sondern den Text gleich mit in Frage stellt.
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