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Regisseur über das Drehen mit Kindern„Schreien, essen, schlafen“

Es gibt eine Filmregel, die besagt: Dreh nie mit Kindern oder Tieren. In „MaPa“ ging es aber nicht anders. Jano Ben Chaabane über Baby-Stars.

Regisseur Jano Ben Chaabane in seiner Wohnung in Berlin Foto: Sebastian Wells/Ostkreuz
Interview von Franziska Seyboldt

taz am wochenende: Herr Ben Chaabane, Sie haben zuletzt bei der Serie „MaPa“ Regie geführt, in der Hauptdarsteller Metin nach dem Tod seiner Freundin allein für seine Tochter Lene verantwortlich ist. Lene wurde abwechselnd von einjährigen Zwillingen, einem zwei Wochen alten und einem sechs Monate alten Baby gespielt – klingt nach einem anstrengenden Dreh.

Jano Ben Chaabane: Es gibt eine Filmregel, die besagt, dass man nie mit Kindern oder Tieren drehen sollte. Ich habe schon mit Affen und Elefanten gedreht, und das war wesentlich unkomplizierter als mit einem einjährigen Zwillingspärchen. Man braucht sehr viel Geduld und muss flexibel bleiben, es ist aufregend und aufreibend. Aber wir hatten das große Glück, dass Lene einfach ein unfassbar süßes, telegenes Baby war. Sie hat alles, was eine große Filmdiva haben sollte.

Lene ist also die eigentliche Haupt­figur?

Also, am Set war sie es auf jeden Fall.

Schauspielern kann ein Kleinkind aber ja trotzdem noch nicht. Wie kriegt man es dazu, dass es macht, was es soll?

Wir mussten unseren Drehplan an die Bedürfnisse der Kinder anpassen. Normalerweise ist ein Tag am Set wahnsinnig durchstrukturiert, möglichst bis auf die Minute genau. Aber sobald man mit Kleinkindern dreht, muss man das alles komplett über Bord werfen. Die größte Leistung kommt da vom Regieassistenten und der Produktion, weil die sich überlegen: Was können wir drehen, wenn das Baby gerade unpässlich ist? Im Grunde muss man warten, bis die Kinder genau das machen, was man sich gerade wünscht.

Man muss sich also auf den Zufall verlassen.

Ja, und man muss sehr intuitiv reagieren. Und darf eben auch nicht ins Drehbuch schreiben: Das Kleinkind soll genau jetzt aufstehen, rüberrennen, sich eine Tasse Kaffee machen und sich wieder hinsetzen. Man muss da schon an die Möglichkeiten denken, die überhaupt funktionieren. Und, na ja, was kann so ein Baby? Schreien, essen, schlafen, vielleicht sogar lachen. Das könnte beim Dreh dann vielleicht klappen. Erschwerend kam noch hinzu, dass die eine Lene-Darstellerin diesen süßen Zopf hatte, aber ihre Schwester leider noch nicht so lange Haare. Deshalb konnten wir mit der nur draußen drehen, wenn sie eine Mütze trug. Sonst hätte der filmische Betrug nicht funktioniert.

Im Interview: Jano Ben Chaabane

Der Mensch

Jano Ben Chaabane, 33, ist Regisseur und Autor. Er arbeitete unter anderem für „Circus HalliGalli“ und „Schulz in the Box“ und führte Regie bei der Jugendserie „Druck“ und der Krimiserie „Culpa – Niemand ist ohne Schuld“. Mit seiner Partnerin und der gemeinsamen Tochter lebt er in Berlin.

Die Serie

Die sechsteilige Sadcom „MaPa“ handelt von Metin (Max Mauff), der sich nach dem Tod seiner Freundin allein um die Tochter Lene kümmern muss. „MaPa“ (Idee und Drehbuch: Alexander Lindh; Produktion: Laura Bull; Readymade Films) läuft auf der Streamingplattform Joyn und 2021 im RBB. Sie wurde für den Deutschen Fernsehpreis 2020 in der Kategorie Beste Drama-Serie nominiert.

Gibt es eine gute Bestechungs­methode, wenn das Kind keine Lust mehr hat?

Butterkekse! Man überlegt sich im Vorfeld natürlich alles, was man so machen kann, und dann hat man eine Klaviatur der Tricks, die man ausprobieren kann, und hofft, dass irgendwas klappt. Ganz wunderbar funktioniert hat auch die Tonangel – ein langer Stab mit einem Mikro dran, so ein haariges Ding, das aussieht wie ein Kuscheltier …

… ein Puschel-Mikrofon!

Das finden die Kinder super, wenn das über ihnen schwebt. Dann sind natürlich jegliche Rasseln und Schnuller immer parat. Wir hatten außerdem das große Glück, dass die Kinder alle auf unsere Kostümassistentin standen, die hatte so eine magische Aura. Und sonst sind es die Eltern.

Die Eltern sind mit am Set?

Ja, bei Kindern in dem Alter ist immer ein Elternteil dabei. Das wird auch vorher mit dem Jugendamt abgesprochen. Laut Gesetz darf man Kinder unter drei Jahren nur in ihrer natürlichen Um­gebung und Zufriedenheit filmen. Wir haben ja auch nicht im Studio gedreht, sondern in einer richtigen Wohnung. Oder mal auf dem Spielplatz. Man darf die Kinder eben nicht zu etwas zwingen, sie müssen sich wohl fühlen.

Nach welchen Kriterien haben Sie die Lene-Darstellerinnen denn ausgesucht?

Wir haben eine Kindercastingagentur beauftragt, und da werden die Kinder zwar zum – in Anführungszeichen – Casting eingeladen, aber man kann ja nicht wirklich viel mit ihnen machen. Das Wichtigste ist deshalb, dass wir, also das Produktionsteam und ich, ein gutes Gefühl mit den Eltern haben. Das sind ganz enge Teammitglieder, auf die müssen wir uns verlassen. Die Eltern der Zwillinge haben das wunderbar mit uns durchgezogen, dabei sind Zwillinge sowieso schon viel Arbeit, und dann noch fünfzehn Drehtage!

Sagen die Eltern dann auch mal: „Es reicht jetzt aber wirklich“?

Es gab tatsächlich einen Tag, ganz am Ende, da hab ich den Dreh komplett ausgereizt, auch was meine Kompetenzen angeht. Ich muss ja immer gucken, dass ich pünktlich fertig werde, gar nicht nur wegen der Kinder, sondern wegen des ganzen restlichen Teams. Sonst geht es in die Überstunden, und das kostet natürlich Geld. Jedenfalls ging es nur darum, dass eines der beiden Mädels schlafen sollte, einmal durchs Bild getragen wird und wir einmal nah mit der Kamera rein­filmen können. Wir haben alles probiert, zwei Stunden lang, aber es hat nicht geklappt.

Und dann?

Am Ende haben wir es über den Schnitt gelöst. Wir hatten eine sehr lebensechte Puppe – wenn man ganz genau hinsieht, merkt man es auch manchmal – und die musste dann herhalten. Unsere kleine Chucky, die Mörderpuppe. Die lag immer irgendwo rum und alle haben sich tierisch erschrocken.

Es gab eine Puppe, die aussah wie Lene?

Ja. Dafür gibt es extra Rohmodelle, und dann werden Augenfarbe, Haare und der ganze Rest angepasst.

Die Puppe war es dann wohl auch, die Metin in einer Szene aus dem Fenster wirft.

Richtig. Das war kein Stuntbaby oder so.

Das ist ja tatsächlich meine Lieblingsszene: Lene schreit die ganze Zeit, schmeißt den Teller runter und schrottet auch noch Metins Handy. Ich dachte mir: So, und jetzt wirft er sie aus dem Fenster. Weil er dermaßen die Schnauze voll hat und überfordert ist. Und dann macht er das tatsächlich, das fand ich sensationell.

Dabei ist das natürlich ein Witz, eine Vision. Nicht, dass jetzt jemand auf falsche Gedanken kommt.

Genau, danach gibt es einen Cut, und Lene sitzt wieder in ihrem Stuhl. Aber so ein kleiner Schock bleibt. Offenbar ist schon allein der Gedanke ein Tabu.

Ja, aber man denkt es eben. Wenn man wirklich völlig am Ende ist, wenn man krassen Schlafmangel hat, dann kennt man das Gefühl, dass man sein Kind im Grunde am liebsten aus dem Fenster schmeißen will. Und Alleinerziehende kennen das wahrscheinlich noch sehr viel besser. Natürlich ist man beschämt und erschrocken darüber und tut es nicht. Aber wir wollten in unseren Traumsequenzen, in diesen bizarren, abstrakten Momenten, immer Gefühle verdeutlichen. Und Metin hat ja im Rahmen der Handlung immer mal wieder solche Visionen … Moment, grade kommt meine Tochter rein. Was? Noch mehr essen? Man kann doch nicht so viele gefrorene Himbeeren essen! Na gut, noch ein bisschen, Marlene. Die hat die ganze Packung gegessen, ist das irgendwie schädlich?

Nee, das ist doch wie Sorbet. Wie alt ist denn Ihre Tochter?

Fast fünf.

Und sie heißt Marlene. Das klingt ja fast wie …

… Lene, ja. Das ist nicht wirklich ein Zufall. Aber ich weiß gar nicht mehr, ob der Name schon vorher klar war und wir uns dann gefreut haben oder der Head-Autor der Serie, Alexander Lindh, ihn wegen uns ausgesucht hat.

Hat die Erfahrung, dass Sie selbst Vater sind, Ihnen am Set geholfen?

Ja, total. Man kennt den Stress, die Abläufe. Wobei man halt auch denkt, man könne vorhersagen, was die Kleinen jetzt machen, weil man es von zu Hause kennt, und das stimmt natürlich nicht. Und für die Rolle des Regisseurs, der auch mal antreiben muss, ist es eher schwierig, wenn man selbst Vater ist und weiß: Die Kleine will jetzt schlafen. Man fühlt einfach mehr mit.

Hat Ihre Tochter denn auch schon mal gedreht?

Ja, sie hat einen kleinen Cameo-Auftritt in der Serie. In Folge zwei läuft sie mit ihrem besten Freund, dem Kind unserer Herstellungsleiterin, Hand in Hand in die Kita. Aber ansonsten ist sie eher hinter der Kamera. Das liebt sie, da ist sie immer ganz eifrig mit dabei und stoppt die Zeit. Das ist wichtig, damit man ungefähr weiß, wie lang die Folge wird.

Ihre Tochter gehörte also quasi zum Team.

Sozusagen. Was auch daran liegt, dass wir ein Familienunternehmen sind: Die Produzentin, Laura Bull, ist meine Freundin. Dementsprechend ist unsere Tochter meistens auch da, wenn die Produzentin ans Set kommt. Und das macht sie häufig, um zu gucken, ob alles gut läuft.

Was ist beim Drehen mit einem Baby eigentlich schwieriger: es davon abzuhalten, zu schreien, oder davon, einzuschlafen?

Also, wenn es einmal schreit, dann macht man nix. Dann dreht man schnell alle Szenen, in denen es schreien soll. Wir haben ja normalerweise große Lichtaufbauten und so was, und da mussten wir manchmal sagen: Egal, los jetzt, alle wieder auf die andere Seite, das Baby schreit gerade, wir setzen es nochmal neben die Mutter an den Tisch und dann haben wir unser Bild schon mal abgedreht. Es ist ein bisschen chaotisch. Und es ist natürlich wahnsinnig anstrengend, weil eben die ganze Zeit geschrien wird.

Die Schlafszenen waren vermutlich entspannter.

Nicht wirklich. Das ganze Team läuft dann um dieses Kind rum, ganz leise, ganz angespannt. In der Wohnung, in der wir gedreht haben, waren immer alle auf Socken. Das sind 30, 40 Leute, die müssen arbeiten, die schleppen schwere Sachen von A nach B, dann kommt da wieder einer mit ’nem Wurstbrottablett, es ist 8 Uhr abends. Und dann legt die Mutter ganz vorsichtig das schlafende Baby ins Bett, Max Mauff – der Schauspieler, der Metin verkörpert – krabbelt dazu und wir drehen achtmal, wie er aufsteht und sich wieder hinlegt. Es gibt keine Zeit, um etwas zu besprechen, ich flüster höchstens mal: Okay, und jetzt die Augen bitte drei Sekunden später zumachen. Man hofft die ganze Zeit, dass die Kleine nicht aufwacht. Aber wenn dann der eine Moment im Kasten war, auf den wir gewartet haben, sind wir stumm ausgerastet, als wären wir Weltmeister geworden.

Das hört sich an, als sei es auch für die erwachsenen Schauspieler eine total große Leistung. Sie können ja keine Szene am Stück drehen und sich emotional darauf einlassen, sondern müssen immer wieder neu anfangen.

Absolut. Es gibt in Folge drei eine Szene, in der Max Mauff einen emotionalen Tiefpunkt spielt, wo er wirklich einen Zusammenbruch hat, und dann sitzt aber neben ihm dieses Kind und ist quietschvergnügt und brabbelt vor sich hin. Das ist wahnsinnig schwer, da in der Emotion der Figur zu bleiben und nicht lachen zu müssen, aber das hat Max wirklich ganz toll gemacht. Und dann kommt ja noch hinzu, dass die Schauspieler ganz häufig die Puppe anspielen mussten. Wir drehen eine Szene immer aus acht verschiedenen Perspektiven, aber nur am Anfang oder am Ende mit dem Kind, damit es dann wieder freihat. Also sitzen Max und seine Mutter zum Beispiel am Tisch, und seine Mutter füttert diese gruselige Puppe und muss die ganze Zeit so tun, als wäre die ganz süß und niedlich.

Lene von hinten ist immer die Puppe?

Nicht immer, aber häufig. Manchmal wird auch das echte Baby reingeschnitten. Aber wenn man in einer Szene die Reaktionen der erwachsenen Schauspieler filmt, würde man nicht das Kind dahinsetzen, weil es erstens quengelt und zweitens unnötig strapaziert wird.

Mit diesem Wissen schaut man Serien und Filme vermutlich nie wieder wie vorher.

Oh ja! Bei ganz vielen Filmen und Serien merkt man das, wenn man darauf achtet. Der Klassiker: Protagonistin A drückt das Kind Protagonist B in den Arm, und der geht in einen anderen Raum, sodass sich Protagonistin A ungestört mit Protagonist C unterhalten kann. Aber das war bei uns nicht möglich, es geht ja eben darum, dass dieses Kind da ist. Und zu der insgesamt schon recht schwierigen Dynamik der Geschichte, weil es eben einfach ein heavy Stoff ist, der aber auch lustig sein soll, kam das noch hinzu. Wir mussten uns sehr viele Tricks überlegen.

Was denn für Tricks?

Das hat viel mit Kameraarbeit zu tun, mit Framing. Wie bewegen sich die Figuren im Raum, ohne dass man merkt, dass die Kleine auch mal wieder weg ist? Manchmal hat auch die Mutter der Zwillinge die Klamotten vom Hauptdarsteller angezogen und Metin gespielt – zum Beispiel in Szenen, in denen es nur um die Hände geht und man so nah an dem Baby dran ist, dass man das nicht sieht.

taz am wochenende

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Als seine Freundin beerdigt wird, bittet Metin seinen Freund, Lene zu kneifen, damit sie heult und er den Raum verlassen kann.

Das ist natürlich nicht in echt passiert, so etwas lösen wir über den Schnitt. Zum Beispiel, indem wir einen Sound drüberlegen und genau diese eine Sekunde finden, in der die Kleine heult. Das ist eine ganz frickelige Arbeit, bis es dann so stimmt, dass der Zuschauer es nicht merkt.

Ganz schön viel Aufwand.

Ja, aber wenn man dann Monate später im Schnitt sitzt und das Material filtert und merkt, dieser eine Moment passt jetzt perfekt von den Anschlüssen, dann ist es wunderbar. Da waren wir dann auch sehr akribisch, weil wir dachten: Ah nee, das fällt jemandem auf. Dabei tut es das meistens nicht, wenn die Geschichte gut funktioniert. Wir hatten da dieses eine Baby, das die sechs Monate alte Lene gespielt hat, das war ein Junge.

Ach!

… ja, da musste man auch ein bisschen aufpassen, zum Beispiel als ihm in einer Szene die Windeln gewechselt wurden. Der war jedenfalls ein Naturtalent. Man will ja immer, dass Schauspieler ungefähr die gleiche Bewegung machen, wenn man eine Szene mehrmals dreht. Man nennt das den Anschluss. Das ist für den Schnitt sehr wichtig.

Von einem Baby kann man das schlecht verlangen.

Ja, aber dieses Baby hat immer exakt das Gleiche gemacht. Das war Wahnsinn, da haben wir uns wirklich häufig kaputtgelacht. Einmal hat er zum Beispiel den Schnürsenkel von Max genommen und mit ihm rumgespielt. Das sah so toll aus, und wir dachten: Ja, gut, das wird er halt nie wieder machen. Aber dann hat er vier Takes lang immer wieder genau zum richtigen Moment den Schnürsenkel genommen, das war sehr dankbar für den Schnitt.

Dann hat er wohl noch eine große Karriere vor sich.

Ja, die Zwillinge aber auch. Einer unserer Drehbuchautoren hat eine Szene reingeschrieben, in der Lene eine Buchseite rausreißen sollte. Das war total wichtig für die Dramaturgie, sonst hätte der Dialog nicht gepasst. Und wir dachten: Das wird niemals klappen. Aber genau das hat die Kleine dann viermal gemacht.

Beim nächsten Projekt sind also wieder Kinder dabei?

Ich würde vielleicht irgendwas mit Tieren dazwischenschieben. Mit Löwen, Tigern, egal. Nee, ganz ehrlich, ich würd’s wieder machen. Ich hab das Gefühl, man kriegt das hin. Und das Ergebnis ist so schön. Da muss man halt durch. Außerdem wollen wir ja eine Staffel zwei haben. Aber vielleicht machen wir dann einen größeren Zeitsprung, damit es ein bisschen reibungsloser abläuft. Am besten ist Lene dann schon 18, steigt in den Zug und ist weg.

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