Regisseur Wedel über Steuerskandal: "Auch mir riet man, Geld zu verlagern"
Regisseur Dieter Wedel hat in vielen TV-Serien unser Steuersystem vorgeführt. Eigentlich dürfte ihn nichts mehr erschüttern - der aktuelle Steuerskandal hat es geschafft.
taz: Herr Wedel, in Ihrem TV-Mehrteiler "Die Affäre Semmeling" haben Sie durchgespielt, wie das Finanzamt mit immer höheren Steuerforderungen eine ganze Familie zerstört. Haben Sie Verständnis für einen Steuerhinterzieher wie Klaus Zumwinkel?
Dieter Wedel: Nein, für diese Art der Abzockerei habe ich nicht das geringste Verständnis. Offenbar gilt in unserer Gesellschaft die Devise "Genug ist zu wenig". Die Gier dominiert. Aber leider nicht nur bei den Reichen. Manchmal geht der Staat doch unverantwortlich mit seinen Steuereinnahmen um. Wenn er beispielsweise Milliarden bei von ihm kontrollierten Banken zuschießt und den gescheiterten Bankmanagern den Ruhestand mit 35.000 Euro monatlich versüßt. Mich erschreckt, wenn jetzt pauschal die gierigen Besserverdienenden diffamiert werden und gegen sie regelrecht ein Feldzug geführt wird.
Geboren: 12. November 1942 in Frankfurt am Main
Ausbildung: Studium der Theaterwissenschaften, Publizistik und Geschichte in Berlin. 1965 Promotion zum Dr. phil. Neben dem Studium arbeitete er als Lektor und Theaterkritiker.
Karriere: 1966/67 Autor und Hörspielregisseur bei Radio Bremen. Danach folgte er einem Ruf von NDR-Fernsehspielchef Dieter Meichsner nach Hamburg und machte sich beim NDR Fernsehen mit bürgerlichen Alltagsgeschichten einen Namen. Seit 1978 freier Regisseur, Autor und Produzent.
Bekannteste Filme: Die Semmeling-Geschichten "Einmal im Leben" und "Alle Jahre wieder", "Das Protokoll", "Der Schattenmann", "Der König von St. Pauli" sowie "Die Affäre Semmeling"
Wie erklären Sie sich den?
Menschen lassen sich zu den verlustreichsten Investitionen verleiten, beispielsweise beim Kauf von Ostimmobilien, bloß weil ihnen Steuerberater erklären, die Kosten seien absetzbar. Wohlgemerkt, dabei geht es nicht um Steuerhinterziehung, sondern um Steuervermeidung. Dauernd wird den Leuten eingeredet, wer nicht auf solche Empfehlungen hört, zahlt zu viel Steuern. Obwohl ich seinerzeit sehr gründlich für "Die Affäre Semmeling" im Finanzamt recherchiert habe, durchschaue ich die zahllosen Verordnungen und Bestimmungen auch nicht. Zumal sie in einem unverständlichen Deutsch formuliert sind. Selbst Finanzbeamte verlieren in diesem Wust den Überblick. So glauben viele, sie müssten was unternehmen, sonst würden sie draufzahlen.
Und? Haben Sie schon etwas unternommen?
Zumindest passiert es auch mir öfter, dass Fachleute auf mich zukommen und mir raten, Geld "verlagern".
Das heißt, die Polizei steht demnächst auch vor Ihrer Tür?
Nein, da seien Sie mal beruhigt: Ich bin nicht dabei. Geld ist natürlich wichtig, weil ich angenehm leben will, aber es hat für mich nicht diese erotische Komponente wie für manche andere.
Könnte die eine Motivation für einen Manager wie Klaus Zumwinkel gewesen sein? Sehr luxuriös hat er ja nach allem, was man lesen konnte, gar nicht gelebt
Vielleicht gehört er zu denen, auf die die Höhe des Vermögens eine erotisierende Wirkung zu haben scheint. Diese Gier oder die Angst, dem Finanzamt etwas zu geben, bleibt aber gerade deshalb so unverständlich, weil Leute wie Zumwinkel ja so viel Vermögen besitzen. Warum riskieren sie solch einen schrecklichen Absturz, wie er ihn gerade erlebt?
Was meinen Sie?
Ich glaube, es gibt einen Punkt, an dem sich Erfolgreiche wie Siegfried für unverwundbar halten. Das hat man doch auch bei der VW-Affäre schon gesehen In meinem neuen Film "Mit Glanz und Gloria", der sich ja auch mit Gier beschäftigt, heißt es einmal: "Reichtum ist wie Meerwasser, je mehr man davon trinkt, desto durstiger wird man." Was in erschreckender Weise aber auch für den deutschen Staat gilt, wie der aktuelle Skandal zeigt.
Sie sprechen von dem 5-Millionen-Euro-Deal mit dem Informanten?
In der Schweiz oder in Liechtenstein würde er sofort festgenommen und zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. In Deutschland gibt der Staat so jemandem 5 Millionen Euro Steuergelder - und erntet auch noch einhellig Zustimmung dafür. Für mich ist das höchst fragwürdig!
Sogar der BND war involviert
Wie es scheint, ist plötzlich alles erlaubt. Ganz ähnlich wie bei dem Hamburger Anlagebetrüger Jürgen Harksen, dessen Erlebnisse bei "Mit Glanz und Gloria" eingeflossen sind. Um von ihm Steuergelder zurückzuholen, als er sich in Südafrika aufhielt, haben Finanzamt, Staatsanwaltschaft und Entwicklungshilfeministerium Hand in Hand gearbeitet. Die Gewaltenteilung, auf der ja unser demokratisches System beruht, war plötzlich außer Kraft gesetzt.
Da muss man ja schon beinahe froh sein, dass im Fall von Liechtenstein nur das Finanzministerium verwickelt ist
Ich frage mich nur, wie der Finanzminister künftig mit dem Anspruch antreten will, dass Werte wieder eine Rolle spielen müssen in dieser Gesellschaft, wenn er gleichzeitig nach der Logik operiert: "Mit 5 Millionen Investition kriege ich 30 Millionen raus." Darin ist er doch eigentlich nicht weit entfernt von der Denke Zumwinkels: Der Profit rechtfertigt alles. Der Zweck heiligt die Mittel. Ich halte das für eine Form von wirklichem Wolfskapitalismus.
Wie kommt man gegen den an?
Vielleicht muss man den Leuten mal wieder deutlich machen, dass man in jedem Staat Steuern zahlen muss. Ich will sie auch zahlen, weil mir ein sicheres Land am Herzen liegt, ordentliche Schulen, gute Straßen und eine funktionierende Polizei. Aber das alles nicht zu dem Preis, dass der Staat zum Polizeistaat mutiert. Er muss immer ein bisschen weniger dürfen als Kriminelle. Das ist der Preis der Freiheit. Der deutsche Staat darf nicht zum Schnüffelstaat verkommen, nur um jedem Steuersünder auf die Schliche zu kommen. Leider sind wir auf dem besten Weg dahin. Wenn ich alleine daran denke, dass jeder Finanzbeamte beliebig Einsicht nehmen kann auf das Konto jedes Bürgers!
Erhöht diese gesetzliche Erlaubnis wiederum das Gefühl, so viel wie möglich am Finanzamt und dem Staat vorbei zu schleusen?
Mal ehrlich, die Steuer haben wir alle doch irgendwann mal "behumpst". Man darf nun nicht ein ganzes Volk kriminalisieren. Vermutlich hat jeder von uns schon mal einen Bewirtungsbeleg oder eine Taxirechnung abgesetzt, obwohl sie nicht beruflich bedingt waren.
Fängt das strukturelle Problem aber nicht genau bei solchen Kleinigkeiten schon an?
Die Frage ist doch: Sind solche Kleinigkeiten noch als Mundraub zu werten oder als Betrug? Der Ausweg wäre: die zahlreichen Möglichkeiten des Absetzens und die vielen Subventionen abzuschaffen, dann könnte der Steuersatz gesenkt werden. Was Paul Kirchhof ja mal vorhatte, bevor er in einer für mich erschreckend populistischen Weise diffamiert wurde. Dabei wird diese völlig überregulierte Steuergesetzgebung ja selbst von den Finanzbeamten beklagt. Vielleicht brauchen wir in dem Bereich mal einen Gorbatschow - aber dem ist seine Perestroika ja auch nicht gut bekommen.
INTERVIEW: SUSANNE LANG
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
„Männer“-Aussage von Angela Merkel
Endlich eine Erklärung für das Scheitern der Ampel