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■ Regierungskrise in ÖsterreichBefreiungsschlag oder Alarmzeichen

Eine revolutionäre Situation, so lehrte uns Lenin, tritt dann ein, wenn die oben nicht mehr können, wie sie wollen, und die unten nicht mehr wollen, wie sie sollen.

Die österreichische Innenpolitik stellt Lenin nicht – wie Marx einst den Hegel – vom Kopf auf die Füße, sondern plaziert ihn aufs Hinterteil. Das charakteristische an der Wiener Polit-Szenerie: Es sind die Regierenden, die plötzlich nicht mehr regieren wollen. Das reicht zwar nicht zur revolutionären Situation, aber doch zu einer handfesten Krise.

Mit Franz Löschnak und Josef Hesoun treten zwei langgediente Minister ab, beide sozialdemokratisches Urgestein, beide dem Apparat verbunden. Beide personifizierten zuletzt den autoritären Charakter in Reinkultur. Franz Löschnak exekutierte als Innenminister eine herzlos-kalte Ausländerpolitik, versagte aber bei der Aufklärung der neonazistischen Terroranschläge. Josef Hesoun verteidigte als Sozialminister mit einiger Verve die Interessen seiner Klientel, auf neue Ideen und kritische Geister reagierte der Minister aber gereizt. Mit den beiden scheiden auch noch der Finanzminister und die Frauenministerin aus dem Kabinett.

Das ist, wirft man den kühlen realpolitischen Blick auf die Geschehnisse, nichts als eine normale Regierungsumbildung. Der sozialdemokratische Teil der Koalition aus SPÖ und ÖVP wird verjüngt, ausgebrannte Politiker werden durch handlungsfreudigere ersetzt. Läge nicht Endzeitstimmung über dem Land; würde die einst mächtige christdemokratische „Volkspartei“ nicht, ohnmächtig und zerstritten, immer mehr in die Bedeutungslosigkeit absinken; würde der Rechtspopulist Jörg Haider als Führungsfigur des Lagers rechts von der Mitte nicht zunehmend auf Akzeptanz stoßen; und hätte der SPÖ-Chef und Kanzler Franz Vranitzky irgendeine Idee, wie der Höhenflug des Vormannes der „Freiheitlichen“ zu stoppen wäre, könnte man es bei dem ersten Blick belassen. So aber gerät, was den Anschein eines „Befreiungsschlages“ haben sollte, zum zusätzlichen „Krisenzeichen“. Es sei denn, die sozialdemokratische Führung käme aus ihrer Lethargie, würde anstelle des fortgesetzten Krisemanagements die Weichen stellen für eine politische Umgruppierung nach den Wahlen 1998. Die Stimmen in der SPÖ werden lauter, die einem rot- grün-liberalen Reformpakt gegen Haider und seine zahlreicher werdenden Anhänger in der ÖVP das Wort reden.

Taugt der entscheidungsschwache Kanzler Franz Vranitzky zu einer solch historischen Wende? Will er sich nicht mehr bloß vor Haider fürchten, sondern endlich wieder beginnen, Politik – in einem ganz emphatischen Wortsinn – zu machen? Man kann es kaum glauben; doch man ist versucht, es zu hoffen. Robert Misik

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